Der Kampf der Befindlichkeiten beginnt – Hartz-IV, Unternehmerlobby und das Verfassungsgericht

Der Lokus — sorry – Fokus bezieht Stellung auf Seite derjenigen Arbeitgeber, die ich als Ausbeuter bezeichnen würd (Erklärung weiter unten). In dem verlinkten Artikel wird eine Meinung forciert, die in die Richtung „Hartz-IV muss noch weniger werden, damit die Arbeitslosen motiviert werden“ abzielt.

So komme etwa ein verheirateter Vater von drei Kindern und einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2500 Euro unterm Strich auf 2368,04 Euro.Das seien 264 Euro mehr, als eine vergleichbare Hartz-IV-Familie bekomme.

Allein aus den oben angebenen Zahlen lässt sich leicht ablesen, dass man lange hin und herrechnen musste, bis man ein Bruttogehlt fand, welche so so minimalen Abzügen führt, dass es diese minimale Differenz Brutto-> Netto ergibt.

Rechnen wir mal gegen: Diese 5 köpfige Familie bekommt Hartz-IV:

  • Miete: 800€
  • 2 Erwachsene a‘ 359€ = 718€
  • 3 Kinder über 14 Jahre a‘ 287€ = 861€

wären also 2379€. Aber NUR wenn alle Kinder über 14 sind.

Nun könnte man sich hinstellen und sagen: Welch himmelschreiende Ungerechtigkeit, die Hartz-IV beziehende Familie bekommt zu viel Geld. Wenn man allerdings unterstellt, dass die „arbeitswillige“ Familie eventuell noch Urlaubsgeld und/oder 13 Monatsgehalt bekommt, sieht die Rechnung leicht anders aus. Fairerweise muss man auch die Fahrtkosten, Mehrkosten für Reinigung von Arbeitskleidung etc. mit berücksichtigen.

Was also tun? Den Hartz-IV Regelsatz nach unten drücken? Wenn ja: Wie weit? Um das ganze etwas transparenter zu machen habe ich mal Tariflöhnen gesucht und bei der IG Metall folgende Information gefunden:

(Lohnuntergrenzen für Wäschereien 01.09.2009) Die Vertreter der Arbeitgeber und der IG Metall haben sich im Tarifausschuss auf die Mindestlöhne verständigt. Diese betragen zunächst im Westen 7,51 Euro und im Osten 6,36 Euro.

Bei einer 40 Stundenwoche würde ein Arbeitnehmer im Westen also 300,40€ pro Woche verdienen, somit ca. 1502 € BRUTTO wenn der Monat mit 5 Wochen angesetzt wird.

Die Gebäudereiniger(ein Ausbildungsberuf!) – die ja gerade streiken – haben auch Mindestlöhne

Für Gebäudereinigungskräfte gelten bislang Untergrenzen von 8,15 Euro pro Stunde im Westen und 6,58 Euro im Osten. Doch der Tarifvertrag zwischen der Industriegewerkschaft Bau, Agrar und Umwelt (IG BAU) und dem Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks läuft am 1. Oktober aus (Quelle)

Was verdient man bei diesem Mindestlohn? 40x 8,15€ = 326€ – bei 5 Wochen = 1630€. Ebenfalls deutlich weniger als ein Hartz-IV Empfänger.

Nehmen wir den Gebäudereiniger mal als Maßstab und rechnen zurück. Wir nehmen an, er zahlt keinerlei Einkommenssteuer und Sozialabgaben. Dann behält er von seinem Einkommen nach Mietzahlung noch 830€ nach. Wie teilen wir das jetzt auf 2 Erwachsene und 3 Kinder auf?

  • 2 Erwachsene a‘ 200€ = 400€
  • 3 Kinder a‘ 143,33€ = 430€(Geld alle)

Das unser Gebäudereiniger mit seinem Gehalt nicht auskommt liegt auf der Hand, also wird er sein Einkommen durch Hartz-IV aufstocken.

Die Frage, die gerade das Aufstocken unseres Gebäudereinigers aufwirft ist folgende: Wird auch sein Kolonnenführer/Vorarbeiter mittels Hartz-IV aufstocken? Wieviel Gehalt bekommt der Inhaber des Unternehmens?

Am deutlichsten wird mein gedankliches Ziel, wenn ich euch von einer kleine Produktionsfirma in Heidelberg erzähle. Dort arbeitet eine Angestellte VOLLZEIT für 600€ brutto. Der Inhaber des Unternehmens schaut ab und an einmal rein, ist aber am Produktivbetrieb NICHT beteiligt. Der Inhaber fährt einen Mittelklasse-PKW, hat sein eigenes Haus und ernährt von den Erträgen  des Unternehmens sich, seine Frau (hat ebenfalls einen PKW) und einen Sohn.

Wer ist hier der Sozialschmarotzer? Doch wohl deutlich der Unternehmer, der zusätzlich zu seinen Entnahmen aus dem Unternehmen seine Angestellte massgeblich von der Allgemeinheit bezahlen lässt. Wie sieht es mit Unternehmern aus, die 50 Angestellten niederste Löhne (durch Hartz-IV aufgestockt) zahlt, aber sich Haus und Hof von der Firma finanziert? Wird der „Luxus“ dieses Unternehmers eventuell durch versteckte Lohnsubventionen vom deutschen Steuerzahler getragen? Dennoch stellt sich der Unternehmer hin und lässt sich als Erschaffer von Arbeitsplätzen feiern.

DAS muss ein Ende haben. Das Verfassungsgericht muss einen reellen Anspruch definieren und von dem aus muss es eine allgemein gültige Richtlinie geben, die einen angemessenen Mindestlohn definiert.

Gelten die Grünen nun als konservative Partei?

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sieht keinen Grund für eine Erneuerungsdebatte in ihrer Partei. „Wir sind gut beraten, uns nicht inhaltlich zu erneuern. Wir müssen unsere sehr guten und vom Wähler honorierten Inhalte jetzt in Alltagspolitik übersetzen“

schreibt der Spiegel. Und ich begrüsse die Grünen somit in der Riege der etablierten, konservativen Parteien. Bloss nicht an neue Herausforderungen heranwagen. Die Welt hat sich in den letzten Jahren auch nicht geändert, man muss inhaltlich nicht reagieren.

Aussagen, wie diese von Renate Künast, sind es welche die Grünen für mich unwählbar machten. Aussagen und vor allem die dahinter liegende Einstellung wie die von Künast sind es, die meine politische Heimat bei den Piraten definieren.

Grosse Organisationen sind immer langsam – s e h r   l a n g s a m – die Welt verändert sich allerdings schnell und Politik muss ebenso schnell auf die neuen Anforderungen reagieren. Es ist der alte Vergleich zwischen wendigem Sportboot und Öltanker, der sich mir an dieser Stelle aufdrängt. BLOSS nicht den Kurs ändern, man will ja niemanden verschrecken. Lieber die Stammwähler einlullend befriedigen, als nochmal wieder anzufangen zu diskutieren. Da streitet man sich bloss und das gibt eventuell eine schlechte Presse.

Es ist genau diese Abgrenzung Parteispitze<->Junge Mitglieder/Wähler, die das grösste Problem der Parteien in unserer heutigen Zeit darstellt, nur begreifen sie es nicht – oder wollen nicht darauf reagieren, da die alten Machtstrukturen (in denen man ein bequemes Plätzchen ergattert hat) sich sonst ändern könnten.

Wie erfrischend war da doch die Landesmitgliederversammlung der Piratenpartei Hamburg am letzten Samstag. Dort wurde nahezu der gesamte Vorstand ausgetauscht, ohne Streit, hadern oder Zorn. Es gab keine Grabenkämpfe oder Misstrauensanträge. Man machte es ohne jegliche Befindlichkeiten – einfach weil es „an der Zeit“ war.

Volksparteien schaffen Wahlen ab, durch die Hintertür

Zumindest kommt Bettina Freitag, vom Hessischen Rundfunk, in Ihrem Kommentar bei der Tagesschau zu diesem Schluss:

Guido Westerwelle sagt, seine Koalitionsabsage sei ehrlich. Da hat er zweimal recht. Es ist eine ehrliche Absage an den Sinn von Wahlen.

Da gebe ich Frau Freitag in allen Punkten Recht – 100% Recht. Politik soll sich um Themen bemühen, nicht um Befindlichkeiten. Unser heutiges Wahlrecht baut auch auf den Erkenntnissen der Weimarer Republik auf. Die damaligen Verhältnisse machten ein regieren quasi unmöglich. Und so wie es aussieht, wird es bei uns auch immer schlimmer. Es sind Befindlichkeiten, nicht Sachthemen oder gar die Vernunft die das Verhalten der Parteien bestimmt.

Vielleicht sollten Parteien gänzlich abgeschafft werden. Der grösste Vorteiul der Parteien scheint derzeit zu sein, dass die Lobbyisten wissen wohin mit ihrem Geld. Wenn dann ausschliesslich autarke Volksvertreter im Parlament sitzen, geht es wieder ausschliesslich im Sachthemen und nicht mehr um „der hat mir den Lolly geklaut“.