Gericht erklärt SAT1 Regeln der Berichterstattung

Schon von letztem Freitag ist der Bericht des STERN, in dem es um Team von SAT1 geht, dass auf dem Flughafen Tegel einen tollen Bericht erstellen wollte:

Sat1 wollte nun fürs Frühstücksfernsehen testen, wie man am Flughafen Tegel mit so einer Situation umgeht. Im Februar 2009 übernahm Christian Dähm*, ein 33-jähriger Redakteur, diesen Job einschließlich Hauptrolle. „Bitte, bitte“, rief er am Schalter kurz nach Ende eines Check In. „Bitte, ich habe einen wichtigen Termin!“ Theatralisch warf der Laiendarsteller seinen Koffer durch die Gegend, heulte hysterisch, kugelte auf dem Boden herum und ließ sich von niemandem beruhigen. Im gesendeten Drei-Minuten-Beitrag wurde der „Reporter-Selbstversuch“ von einem Sprecher befeuert: „Schafft er das mit dem Auf-dem-Boden-Rum-Roll-Trick?“

Normalerweise werden solche „Wie mache ich mich am besten zum Affen“ Beiträge ja mit Laiendarstellern nachgestellt und dann als Reality-TV verkauft (nicht wahr Frau Salesch?), aber hier griff das TV-Team so richtig tief in die Schüssel, denn Redakteur, Regisseur und Kameramann wurden mit einer Geldstrafe von je 1000€ (20 Tagessätze) belegt.

der Richter sagt es ihm gern noch einmal: „Sie haben einen Einsatz der Bundespolizei ausgelöst, haben bei den Umstehenden Angst provoziert und das für einen reißerischen Beitrag. Das Privatfernsehen kann nicht auf Kosten der Öffentlichkeit Gewinne einfahren!“

Hach, könnte man doch all diese Gossen-Formate so abstrafen. Ich würde lieber ein Testbild und Schulfernsehen (jemand hier, der das noch kennt) ansehen, als all den Schrott für den wir heute mit Sichtung widerlicher Werbung bezahlen müssen.

Schmankerl am Rande:

Um diese Nachricht zu verbreiten, informierte der Richter eigens die Presse über den Verhandlungstermin. Einige Journalisten sind der Einladung gefolgt. Nur die Vertreter der Boulevardmedien fehlen.

Sicherheitsverwahrung ist 90%ige Freiheitsberaubung

Gerade am Wochenende hatte ich ein längeres Gespräch mit meiner Tochter. Als junge Frau ist sie natürlich – durch die Medien – sensibilisiert, was „gefährliche Sexualstraftäter auf freiem Fuß“ angeht. Kaum passt man als Vater mal ein paar Tage nicht auf, haben die Medien es geschafft: Das Kind wähnt sich in Gefahr.

Aber ist sie real, diese Gefahr? Oder schreien wir aus Panik nach dem Scharfrichter und ewiger Verdammnis? Warum blenden wir aus, dass uns jeder zu unrecht inhaftierte oder anders eine Einschränkung seiner Menschenrechte hinnehmender Mensch zu Straftätern macht?

Egal welche Tat begangen wurde: Nachdem das Strafmass „abgesessen“ wurde, gilt jeder Mensch wieder als freier Bürger. Wenn der Richter als angemessene Strafe urteilte: „10 Jahre Freiheitsentzug“, so ist der Verurteilte hinterher frei zu lassen.

Oder wird mit die Bußgeldstelle nachdem ich ein Bußgeld von 50.-€ überweisen habe ein freundliches Schreiben schicken „Die Gesellschaft hat sich das nochmal überlegt, bitte überweise Sie nochmal 100€?

In der TAZ fand ich ein interessantes Interview mit dem Kriminologen Thomas Feltes, der sagt:

An meinem Lehrstuhl haben wir im Vorjahr eine Untersuchung abgeschlossen, die das belegt. Dabei wurde der Werdegang von 67 Straftätern untersucht, bei denen Haftanstalten – gestützt auf Gutachten – eine fortdauernde Gefährlichkeit prognostizierten und deshalb nachträglich Sicherungsverwahrung beantragten. Aus rechtlichen Gründen lehnten die Gerichte dies jeweils ab. Und wir konnten prüfen, ob die angeblich so gefährlichen Täter tatsächlich neue Gewalttaten verübten.

Dreiundzwanzig begingen zwar neue Straftaten, aber meist handelte es sich nur um kleine Diebstähle oder Drogendelikte, also nichts, was eine vorsorgliche Inhaftierung gerechtfertigt hätte. Wegen neuer Gewalttaten wurden nur drei Personen rechtskräftig verurteilt. Selbst wenn sich diese Zahl in den folgenden Jahren verdoppelt, weil noch Fälle vor Gericht anhängig sind, wären das nur zehn Prozent der Entlassenen. Die übrigen 90 Prozent wären unnötig in Sicherungsverwahrung gesteckt worden.

Wenn wir also alle potentiellen Täter dauerhaft wegsperren wollen, dann wird es eng. Wenn unsere Gesellschaft bereit ist 90% Unschuldigen die Freiheit zu rauben, um sich vor höchstens 10% zu schützen, sehe ich schwarz.

Ich empfehle den Artikel zu lesen. Sehr interessant und erhellend. Lasst uns zusammenrücken, damit wir alle den Scheiterhaufen sehen können.

httpv://www.youtube.com/watch?v=UuNHJIAjW6k

Konstantin Wecker – das Hexeneinmaleins von 1978. Aktueller denn je:

die Angst ist die Flamme unserer Zeit
und die wird fleißig geschürt.
Sie verbrennen dich mit ihren Zungen und ihrer Ignoranz
dicke freundliche Herren
bitten per Television zur Jagd.
Tausende
zum Feindbild verdammt
halten sich fürs Exil bereit.

Polizei darf zusammenschlagen und saufen, nur bestehlen geht gar nicht

Udo Vetter weist mich gerade auf einen Fall hin, in dem ein Polizeibeamter gefälschte Quittungen ausgestellt hat um sich daran persönlich zu bereichern:

Dies sahen die Richter des Verwaltungsgerichts ebenso. Durch die Urkundenfälschung und das betrügerische Verhalten unter Ausnutzung der beamtenrechtlichen Stellung habe der Polizeibeamte eine beamtenunwürdige Haltung an den Tag gelegt, die zu einer irreparablen Beschädigung des in ihn zu setzenden Vertrauens und des Ansehens des Berufsbeamtentums geführt habe.

Stehlen und Betrügen sind „beamtenunwürdige Haltung“. Aber schlagen, saufen und randalieren hat keine disziplinarischen Folgen.

Somit ist die Polizei nicht nur eine Parallelmacht im Staate, sondern auch ein Schattenspiel. Ein normaler Bürger wird (gefühlt) endlos lange weg gesperrt, wenn er sich einer Körperverletzung schuldig machte. Bei Millionenbetrügereien (wieso muss ich jetzt an Zumwinkel denken) ist man nicht so.

Ich will den „Quittungs-Beamten“ nicht in Schutz nehmen. Ich teile die Einschätzung des Gerichts. Ich erkenne Vorsatz und all die bösen Dinge, die eine „Vertrauensperson der Gesellschaft“ sich nicht zu schulden lassen kommen darf. Nur die Verhältnismässigkeit, die vermisse ich in all den anderen Fällen.