Mein #29c3 – völlig subjektive Betrachtungen zum Chaos Congress

Chaos Communication Congress Nummer 29 also nach 14 Jahren wieder in Hamburg. Meine Gefühle im Vorfeld waren zwiespältig: Einerseits freute ich mich auf einen Congress wieder dort, wo alles anfing – in meiner Heimatstadt 🙂 Andererseits das Bangen, ob diese Veranstaltung zu wuppen ist. Nicht dass ich an der Fähigkeit der Organisatoren zweifeln würde, aber eine neue Lokation, neue Ansprechpartner, neues Umfeld – all dies ist anspruchsvoll, sehr anspruchsvoll. Aber ich stelle fest: Es war eine sehr, sehr gute Veranstaltung und alle aktiv Beteiligten haben (nicht nur meine) Hochachtung, Respekt und nicht zuletzt Dank verdient.

Zur Abwechslung habe ich aber auch Kritik zu nennen. Wie es Kristian Köhntopp in einem Kommentar ansprach, wandern die Inhalte (vor allem der Vorträge) weg von der Technik und mehr hin zur Politik. Nicht dass mich politischen Themen verschließen würde, wer mich kennt weiß dass ich sehr politisch bin. Auch ich habe das Gefühl (um es mit Loriot zu sagen): „Früher war mehr Technik“. Meine politischen Ambitionen versuche ich auf anderen Ebenen zu befriedigen und suche dafür beim CCC eher Unterfütterung in Sachen technischen Randbedingungen, als die politische Endbetrachtung. DASS die NSA überwacht – jenseits jeglicher Vorstellung – ist bekannt. Mich interessieren die Mittel und Technologien und vielleicht noch Hinweise für den Otto Normalbürger wie er sich gegen jegliche Überwachung so weit wie möglich wehren kann. Grundlagen und Lösungen.

Für mich persönlich stand aber noch etwas ganz anderes im Vordergrund: Pflege der Sozialkontakte. Menschen treffen, mit denen man sich aus unterschiedlichsten Gründen typischerweise nicht mehr sieht. Sei es, weil Familie und Beruf zu sehr einnehmen, oder weil man einfach zu weit voneinander entfernt wohnt: Aber beim Congress trifft man sich, klönt, fachsimpelt und nimmt auch hier und da interessante Informationen und Ansichten mit. Bemerkenswert ist, dass die Lokation CCH so groß ist, dass ich von der Anwesenheit einiger Leute weiss, welche es durchgehend geschafft haben, vor mir zu verstecken 🙂

Womit wir bei der Lokation an sich wären: Grossartig. Sehr viel Platz, ohne leer zu sein. Nicht wie Computermessen, bei denen durch verschämt und kurzfristig eingerichtete und leerstehende „Ausruhzonen“ Leerflächen kaschiert werden. Jeglicher Platz im CCH wurde genutzt. Die unterschiedlichen Zonen zum entspannen, arbeiten, zuhören, zeigen, vorführen und was auch immer, wurden durchweg benutzt, ohne dass jemand zu kurz kam. PERFEKT! Keine Dauerkartenlotterie im Vorfeld, bei der viele interessierte Menschen leer ausgehen, sondern jeder war willkommen und jeder kam rein.

Was mir auch „bemerkenswert“ auffiel, waren die „Creepy-cards“. Keiner der mir bekannten Personen auf dem Congress hat sich in der Vergangenheit des Congresses oder dem disjährigen in die Richtung „das ist sexistisch, rassistisch, persönlich diffamierend“ geäußert. Vielmehr habe ich aus meinem Bekanntenkreis eher das Feedback erhalten, dass „Hacker-Events“ eher angenehm sind, weil es dort diesen Problemkreis eben nicht gibt. Aber sei es, wie es ist. Gehört vielleicht auch mal dazu.

Vorträge habe ich kaum gesehen – war eher „hier und da“. Aber dank des großartigen Archivs des Videoteams habe ich schon abends und Zuhause den einen oder anderen Vortrag gemütlich zu Hause sehen können.

Zum Abschluss noch die Erkenntnis: Scheiße sind wir alt geworden. Am Samstag sah ich in der Bahn eine Gruppe junger Menschen die von meinem Kleinhirn sofort als „Die steigen auch Dammtor aus“ einsortiert wurde – nicht zuletzt weil bei zweien nach genauerem Hinschauen das rote Dauerband am Ärmel erkennbar war. Das Problem: Alle Teilnehmer waren noch nicht geboren, als ich den ersten Congress besuchte. Und wenn das Hamburger Abendblatt (welches ich hier nicht verlinke) schreibt „Wer keine schwarze Kleidung trägt, fällt auf, wer über 50 Jahre alt ist, erst recht“, so ist dies schlicht gelogen und DAS ist diskriminierend. Denn weder fiel ich auf, noch viele andere „in ehren ergraute“ Anwesende. Aber die Medien müssen halt „Hacker“ mit „Jugendliche, die mit der Restmenschheit wenig zu tun haben“ gleichstellen.  Lieber Autor des Abendblatt-Artikels (Jens Meyer-Odewald), es geht bei den „CCC-Themen“ nicht um jung oder alt, sondern ausschließlich um eine gewisse Sicht der Dinge, Offenheit, Wissbegierde und vor allem dem Wunsch Dinge zu verstehen.

Ich hoffe, dass der 30c3 wieder in Hamburg stattfinden wird – ich wäre auf jeden Fall dabei.

Virtual Reality – eine Betrachtung aus dem Jahre 1990

Der folgende Artikel von mir ist mittlerweile über 20 Jahre alt, ich fand ihn zufällig und stellte fest, dass er eigentlich immer noch aktuell ist:

Am Abend des 15.09.90 versammelten sich im Hamburger Klexs-Theater  ca. 400 Personen, um die Vortraege zum Thema virtuelle Realitaet ueber sich ergehen zu lassen. Das Thema, sowie die Namen der Vortragenden liessen auf einige interessante, neue Perspektiven hoffen. Eric Gullichson, (Mitentwickler einer der ersten „virtuellen
Realitaeten“) und Timothy Leary (Realitaetsspezialist) vertraten leider nicht die Kontrapunkte dieser Thematik, sondern  nur gemeinsam  die Meinung des Industriekapitals sowie die Interessen der professionellen Manipulatoren.

Was aber sind „virtual realitys“?

Unter dem Begriff virtuelle Realitaet versteht mensch eine Technologie, die eine zweite, scheinbare Realitaet zu schaffen in der Lage ist. Jede Computersimulation ist eine kleine scheinbare Realitaet. Flugsimulatoren, Rollenspiele und was die Programmierkunst
sonst noch her gibt – sind Ansaetze fuer scheinbare Realitaeten. Der Benutzer wird (bei ausreichender Phantasie und genuegend Enthusiasmus) Teil des Programms, die Grenzen zwischen Realitaet und programmierter Welt scheinen zu zerschmelzen. Zur Zeit sind den
scheinbaren Welten noch Grenzen gesetzt. Die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, zur Zeit noch Maus, Joystick und Tastatur auf der einen, und Lautsprecher und klobiger Monitor auf der anderen Seite, stellen die Schwachpunkte(?) der Realitaetsverschleierung dar.  An diesen Schnittstellen wurde in den letzten Jahren intensiv entwickelt. Das Ergebnis sind der Data-Helm, ein Helm mit eingebauten Monitoren (zur dreidimensionalen Ausgabe) und Lautsprechern sowie der Powerglove, ein Handschuh, der die Bewegungen der Haende registriert und somit die Haende zu einem direkten Eingabemedium macht. Letzter Schrei in der Technik scheinbaren Realitaet ist der Data-Suit, ein Anzug, der eine Vielzahl von Koerperbewegungen registriert, und somit
in der Lage ist, den Menschen nahezu vollstaendig in ein laufendes Programm zu integrieren.

Durch diese Technologie wird dem Menschen die Moeglichkeit gegeben, in einer zweiten, scheinbaren Welt(Realitaet) zu agieren. Die ersten Nutzniesser dieser Technologie sind – wieder einmal – die Militaers. Komplette Kriegsszenerien sind im Rechner gespeichert, und
ermoeglichen den Benutzern den realitaetsnahen Einsatz als Kampfbomberpilot oder Panzerkommandant, ohne Gefahr zu laufen, abzustuerzen oder angeschossen zu werden. Im zivilen Bereich wird zum Tennisspielen kein Partner, oder etwa eine grosse, freie Flaeche benoetigt. Ein Tennisschlaeger „Made in Silicon Valley“ und ein Data-Helm sowie ein (leistungsfaehiger) Computer ermoeglichen dem Boris-Imitat den Matchball im Wohnzimmer. Die Technologie, die sich hinter den scheinbaren Realitaeten verbirgt, wird auch als Cyberspace (Digitales Universum) bezeichnet.

Aber zurueck zu der Veranstaltung in Hamburg. Dort wurde nun der Cyperspace praesentiert. Ausserdem wurde der Versuch unternommen, den derzeitigen Stand der Technik anhand von Videos und Vorfuehrungen zu demonstrieren. Den Vorfuehrungen fehlte es allerdings an Aktualitaet, denn die gezeigten Videos waren mindestens 1 Jahr alt, und nichts ist so veraltet wie die Computertechnologie des letzten Jahres. Timothy Leary gab sich Muehe, die Moeglichkeiten des selbststaendig(!) denkenden Menschen darzulegen, der mit dem Cyperspace in die Lage versetzt wird, alles Denkbare in eine erlebbare Realitaet umzusetzen. Nach einigen verbalen Ausfluegen zu Adam und Eva (Genesis), und der Erkenntnis, dass der Biss in den Apfel der Anfang des selbststaendigen Denkens der Menschheit war, kam Leary zu dem Schluss, dass Cyberspace der zweite Biss in den bereits erwaehnten Apfel sein kann. Sureale Welten, welche Erlebbar werden, sollen so zu einer tieferen Erkenntnis der Welt und des Sein fuehren.

Leider ging ein Aspekt des Cyperspace bei dieser Veranstaltung voellig verloren: Die Gefahren der scheinbaren Realitaet. Warum wurde, bei der an die Veranstaltung anschliessenden Diskussion, der Versuch einiger Anwesenden auf die Risiken aufmerksam zu machen, blockiert? Warum eroerterte Leary, der eigentlich diese Problematik erfassen sollte, nicht selbstaendig auch die Kehrseite des Cyberspace?

Welche Gefahren bergen Cyperspace und virtual reality?

Die sozialen Aspekte dieser Technologie werden leider meist vernachlaessigt. Als da waeren: Realitaetsverlust des Anwenders und die Moeglichkeiten der Manipulation. Wer kennt sie nicht, die Menschen, die vor der unertraeglichen Realitaet fliehen? Sei es durch
Drogengenuss oder durch einfaches Blockieren der einfliessenden Information. Haben wir uns nicht schon heute eine Menschheit angezuechtet, die den Blick fuer das in unserer Welt (Realitaet) WESENTLICHE verloren hat? Gibt es nicht schon genug Lemminge, die sich von einer Medienkultur einlullen lassen, und nur das als Realitaet akzeptieren, was fuer sie ertraeglich ist?

Brot und Spiele

Durch Cyberspace wird eine schoene, neue Welt (vergl. Huxley) moeglich. Menschen, die in einer verschmutzten, zuasphaltierten Welt zwoelf Stunden als Untermenschen ausgebeutet werden, um anschliessend im Cyberkino in eine lebenswerte Realitaet zu fluechten. Das Aufstandspotential dieser Menschen gegen die wahre, nicht lebenswerte Realitaet wird dank Cyberspace minimiert. Dee Wuensche des Menschen nach einer sauberen, heilen Umwelt wird in einer temporaeren Realitaet erfuellt. Bei der Veranstaltung wurde die Frage, ob nicht die Gefahr bestehe, dass z.B. der Wunsch zur Erhaltung der Natur in den Hintergrund geraet, wenn Rasenflaechen und Waelder aus dem Rechner kommen, mit dem Statement beantwortet, dass unsere Kinder blauen Rasen lieben werden. Leider macht sich der Beantwortende es sich hier zu einfach, denn die Wiesen im Hauptspeicher sind zur Sauerstoffabrikation denkbar ungeeignet.

Wer schuetzt uns vor dem Verlust der realitaetsnahen Einschaetzung unserer Umwelt? Wer schuetzt uns vor Manipulationen durch Errichtung einer Scheinwelt, in der alles erreichbar ist? Im Rechner lassen sich Szenerien abspeichern und bis zum absoluten Harmagadon durchspielen.  Leider hat unsere Welt aber keinen Reset-Taster, und das Nachladen der Welt VOR dem Holocaust gestaltet sich (in der realen Realitaet?!) ebenfalls als aeusserst schwierig. Und wer gelernt hat, die scheinbare Realitaet zu akzeptieren, ist nur zu leicht durch Dritte lenk- und manipulierbar.

Sicher birgt Cyberspace eine Vielzahl von Moeglichkeiten. Sicherlich ist der Author einer der ersten, der sich das Vergnuegen machen wird,  Cyperspace in Vollendung zu „erleben-erfahren“.

Aber bitte daran denken: Es gibt nur eine Realitaet ! Das andere ist  leider nicht viel mehr als ein sehr gutes Kino.

Vortrag und Diskussion mit Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger

Die FDP lud zu einem „Vortrag und Diskussion mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger“, der Bundesministerin für Justiz, in der Buceruis Law School in Hamburg. Da das Thema „Datenschutz und Privatsphäre im dritten Jahrtausend mich sowohl beruflich wie auch privat interessiert, ließ ich mir diese Möglichkeit mich zu informieren natürlich nicht entgehen.

Der Vortrag unserer Justizministerin, auf den ich hier nicht näher detailliert eingehen muss und möchte, war inhaltlich sehr offen und fundiert. Frau Leutheusser-Schnarrenberger betrachtete verschiedene Bereiche des Datenschutzes und auch Befindlichkeiten (Justizministerium will Daten und Bürgerrechte schützen / Innenminister will viele Daten sammeln). Sehr gelungen und sehr rund.

Anschließend kam es dann zu einer „Diskussion“, dass heisst das wir Besucher Fragen stellen durften, die Frau Leutheusser-Schnarrenberger (echt blöd den Namen aus Respekt vor der Person stehts auszuschreiben…) dann beantworte.

Naja, mit dem beantworten fing etwas schwächer an. Ich hatte das „Glück“, die erste Frage stellen zu dürfen. Da ich fest davon ausging, dass ACTA auch von anderen Fragestellern thematisiert wird (siehe unten), stellte ich die Frage, wie unsere Justizministerin dazu steht, dass US-Behörden – aufgrund des Patriot Acts – ungehinderten Zugriff auf Daten deutscher Unternehmen haben, solange diese Daten auf Servern US-amerikanischen Unternehmen liegen – dies gilt auch für Server die in Europa stehen.

Die Antwort war erst ausweichend (es wurde erklärt, dass die SWIFT-Server ja nun nicht mehr in den USA stehen) und anschließend deutlich unbefriedigend:“Das geht natürlich nicht“. Ich muss davon ausgehen, dass die ansonsten sehr gut informierte Justizministerin über diese deutliche Schwachstelle des Datenschutzes für deutsche Unternehmen informiert ist, aber lieber nicht darüber reden möchte. Denn in diesem Punkt zeigt sich deutlich, dass die deutsche Regierung (wie auch die EU) zahnlose Tiger sind, wenn es darum geht deutsche/europäische Interessen gegenüber den USA durchzusetzen.

Zum Thema Transparenzgesetz gefragt,  vergleicht Frau Leutheusser-Schnarrenberger dieses Thema zuerst mit dem Datenbrief, sie hat sich anscheinend noch nicht damit befasst. Sie musste darauf hingewiesen werden was das Transparenzgesetz wirklich bedeutet.

Das Thema ACTA sieht Frau Leutheusser-Schnarrenberger als unbedenklich, was mich sehr wundert. Sie sieht keiner Veränderung zu der derzeitigen Rechtslage und scheint ACTA somit zu befürworten.

Zum Schluss ein Insider (vor allem für Hamburger Piraten): Der blaue Weihnachtsmann ehrt Frau Leutheusser-Schnarrenberger – während der Veranstaltung – mit einer blauen Mütze für ihr Engagement in der Familienpolitik. Zum blauen Weihnachtsmann sage ich hier gar nichts. Allerdings finde ich es sehr interessant, dass es diese Organisation innerhalb einer FDP-Veranstaltung diese Art von Unterstützung findet