Controllverlust beim Ctrl-Verlust

Dass ich vorrangig blogge um mir das Geld für den Therapeuten zu sparen, habe ich bereits erklärt. Aber ich blogge eben auch um etwas zu sagen – etwas von mir zu geben und meine Gedanken zu publizieren. In diesen Themenkomplex gehört auch meine stete Weigerung hier im Blog Werbung zu machen. Nicht für irgendwelche tollen Produkte auf die man mich hinweist, keine Google- oder sonstwas Adds und auch Link-Spam in den Kommentaren versuche ich hier rauszuhalten (Bloglinks bleiben natürlich drinnen, aber keine Links zu Reifendiskountern u.Ä.). All dies mache ich um unabhängig schreiben zu können und zu dürfen. Unabhängig ja, aber GANZ frei geht nicht – es gibt Gesetze und moralische/ethische Grenzen und an diese muss/will ich mich auch halten.

Aber es redet mir hier keiner rein – ich kann machen/schreiben was ich will. So wie es ein selbstständiger Unternehmer eben auch kann: Tun was er will – im Rahmen der gesetzlichen Regelungen. Als Angestellter hat man diese Freiheiten nicht: Wes Brot ich fress, des Lied ich sing. Ich kann an meinem Arbeitsplatz als „abhängig Beschäftigter“ nicht tun und lassen was ich will. Im Zweifelsfall erklärt mir mein Arbeit- und Geldgeber dass er in Zukunft auf meine Dienste verzichten wird.

Michael Seemann ist nicht in der Lage diesen Unterschied selbstständig/angestellt zu akzeptieren. Er hat gegen die Regeln seines Arbeit/Podiumgebers FAZ verstossen und beweint dies nun aufs garstigste. Eine Firma (und auch Medienunternehmen sind Firmen) funktioniert aber nur, wenn sich alle an die aufgestellten Regeln halten. Bei Michael Seemann liest es sich wie folgt:

1. Es gab wohl insgesamt Ärger mit einigen Bildern, die in Blogs verwendet werden, zum Beispiel auch in meinen. Deswegen ging eine Rundmail an einige der Blogger herum, man möge dort doch besser aufpassen und ein paar Tipps, wie man Bilder richtig einsetzt.

2. Gestern schrieb ich einen Artikel über Apple und den Computer an sich, den ich für heute früh (MEZ) für die Veröffentlichung einstellte. Als ich aufwachte, hatte der Artikel zwar schon recht viele Klicks für den Tag (ca. 1000), aber er war im Redaktionssystem nicht mehr frei geschaltet. Statt dessen eine Mail aus der Redaktion: Man habe den Artikel wegen mangelnder Bildrechte offline genommen. Was war passiert? Ich hatte Bilder verwendet, die zwar unter CC-Lizenz, aber nicht für die kommerzielle Verwendung erlaubt waren. Mein Fehler.

Ich meine: Sorry. Aber das ist ein wunderschönes Beispiel für ein Eigentor. Egal in welcher Branche und in welchem Umfeld: Der Arbeitsgeber klärt explizit – WEIL es Ärger gab – über gewisse Vorgehensweisen auf und bittet(!) um besondere Aufmerksamkeit. Wer danach diesen Fehler (nochmal?) begeht, hat einfach selbst schuld. Wenn Menschen die mir zuarbeiten sich so verhalten, werde ich auch SEHR deutlich. Für den Arbeit-/Auftraggeber zeigt solch Verhalten, dass man selbst entweder nicht gewillt ist sich an die Vorgaben/Regeln zu halten oder man diese Regeln nicht mal zur Kenntnis nimmt. Beides sind Gründe die Zusammenarbeit zu beenden. Wer da jammert soll Chef werden – dann stellt er selbst die Regeln auf.

Hier ist es augenscheinlich zum Clash der publizistischen Kulturen gekommen. Für Michael Seemann waren ein Ermessenspielraum des Autors und ein Recht auf unmittelbares Publizieren selbstverständlich. Die Zentrale sah ihr Vertrauen missbraucht und wähnte Kontrollverlust über Autor und Inhalte. Hier prallten zwei fundamental unterschiedliche Vorstellungen davon aufeinander, was “gute” Publizität ausmacht.

beschreibt Robin Meyer-Lucht den Vorgang bei Carta. Und ich befürchte, der grosse Crash liegt nicht in dem Zusammentreffen von Blogger und Medium sondern im Aufeinandertreffen von „Wurschtler“(nicht abwertend, sondern frei/kreativ beschreibend gemeint) und der Welt der Wirtschaft.

Don Alphonso beschreibt den Vorgang wie folgt:

Man liefert eine Leistung, hat enorm viele Freiheiten, und wird dafür ordentlich entlohnt. Das ist das freie Recht der dort Arbeitenden. Dafür muss man dann eben respektieren, wenn die Zeitung das freie Recht für sich in Anspruch nimmt, diese Leistungen nach eigenem Empfinden und eigener Entscheidung zu präsentieren. Das ist alles. Man kann damit gut leben, oder auch Verschwörungstheorien ins Netz setzen.

und dem ist nicht mehr viel hinzu zu fügen.

[Update] Wessen Not wird nicht vergrössert? Oder: Warum ich gern wohlhabend wäre

Nur zwei Überschriften der letzten Tage:

Weniger Arbeitslosengeld für Ältere und Familien (Welt v. 03.06.2010)

Lehrer wollen Eltern von Dicken Hartz IV kürzen (Welt vom 04.06.2010

Wann kommen  Magersüchtige, Wassertrinker oder einfach nur Männer und Frauen dran, denen Arbeitslosengeld und Hartz-IV gekürzt werden soll? Der Lehrerverband erdreistet sich tatsächlich zu fordern:

Um Übergewicht von Kindern zu bekämpfen, fordert ein Lehrerverband Gewichtskontrollen für Schüler und Pflichtberatungen für deren Eltern.

Hallo? Darf ich im Gegenzug auch fordern, dass Lehrer verpflichtet werden sogenannte Freistunden (Lehrersprech: Vorbereitungsstunden) dafür zu nutzen nachweislich tätig zu sein, und sei es nur als Hilfe des Hausmeisters bei der Gartenpflege oder bei der Entlastung des Reinigungspersonals?

Zur Klarstellung: Ich kenne Lehrer die zu recht als Pädagogen und sogar als fleissig bezeichnet werden dürfen. Aber ich fürchte, dass gerade diejenigen Personen aus der Lehrerschaft die obige Forderungen stellen ihre Zeit eher in Meetings verbringen und deren Aufgabe es eher ist die Verbandsinteressen zu vertreten, denn sich um das Wohl und die Bildung unserer Kinder zu kümmern.

Das zu der ersten Überschrift folgendes Zitat gehört wundert aber auch niemanden mehr:

Die Arbeitgeber wollen sechs Milliarden Euro bei Arbeitslosen sparen. Sie fordern die Regierung auf, den Rotstift anzusetzen.

Wenn die Arbeitgeber intern die Gewinne nicht weiter steigern können – durch Optimierung der Prozesse oder durch Einsparungen bei den Löhnen und Gehältern, dann muss eben der Staat aushelfen. Wie verdammt perfide ist das denn bitte? Die Unternehmen setzen Arbeitskräfte frei um intern Kosten zu sparen (was ja sogar legitim ist) und fordern dann die ehemaligen Mitarbeiter zu knechten. Nur um letztendlich davon abzulenken, dass man die eingesparten Kosten sonst eventuell über höhere Abgaben selbst zu tragen habe. WIDERLICHES PACK!

[UPDATE] Karim brachte mich in seinem Kommentar eben auf folgende Idee, um BEIDE Forderungen der Lehrerschaft zu erfüllen 1) Schlankere, gesündere Kinder und 2) Weniger Hartz-IV

Der Hartz-IV Satz für Schul- oder Kindergartenkinder wird um einen zu definierenden Betrag gesenkt, WENN folgende Bedingungen als erfüllt gelten:

  • Warmer Mittagstisch, ausgewogen und gesund zubereitet für Schul- und Kindergartenkinder. Nach Möglichkeit ist auch ein zentrales Frühstück zu organisieren
  • Qualifizierter und erweiterter Sportuntericht sowie Sportmöglichkeiten in Schulen und Kindergärten
  • Schwimmuntericht für alle Schulkinder
  • Kostenfreie Aufnahme in Sportvereine für Kinder von Arbeitlosengeld- und Hartz-IV Beziehern (evtl. für ALLE Kinder)
  • Kostenfreie Koch- und Ernährungskurse für alle Bezieher von Arbeitlosengeld und Hartz-IV

Generell bin ich ein absoluter Gegner von staatlicher Einmischung in die elterliche Aufgabe der Erziehung – aber ab und an kann man ja mal eine Ausnahme machen.

Religiöse Eiferer greifen Grundgesetz an

In der FAZ schreibt Regina Mönch einen Artikel unter der Überschrift „Wie viel religiösen Eifer verträgt eine Schule?“ und ich bin ganz aufgeregt und frage mich: Was ist da bloss passiert? Aber Frau Mönch klärt schnell auf worum es geht:

Ist das rituelle Mittagsgebet eine unerlässliche Pflicht für muslimische Schüler, und muss die Schule ihnen ausreichend Platz dafür einräumen? Ein Berliner Gerichtsurteil verneint dies und wendet sich gegen die Islamisierung des Schulalltags.

Es geht also um ein Mittagsgebet. Wer ein Mittagsgebet spricht ist ein „religiöser Eiferer“? Was ist mit Menschen die ein Tischgebet sprechen? Was ist mit toten Kindern von Göttern, die in Schulklassen erst ans Kreuz und dann an die Wand genagelt werden?

Wer ist hier der Eiferer? Ist es das Schulkind? Sind es die Eltern des Kindes oder ist es gar die Journalistin, die Menschen die versuchen die Religionsfreiheit zu leben, als „religiöse Eiferer“ versucht zu denunzieren?

Ich bin ein Freund der Freiheit – Freiheit in jedem Sinne, solange andere nicht durch die Freiheiten beeinträchtigt werden. Die Schule – als Behörde – muss sich religiös neutral verhalten. Schüler dürfen ihre Religion ausüben, solange sie Andere nicht in ihrer Freiheit (auch der Freiheit zu lernen) behindern.

OK, ich kann keine Kirche gründen in der es Vorschrift ist alle 2 Stunden in einem Pool ein religiös reinigendes Bad zu nehmen und dann von Schulen und Arbeitgebern verlangen diesen Pool zur Verfügung zu stellen. Auch eine Religion die verlangt alle 2 Stunden eine Cannabis-haltige Zigarette zu rauchen hätte sowohl Charme als auch keine Chance. Wenn sich unterschiedliche Befindlichkeitsträger versuchen vernünftig zu einigen, kommt man typischerweise am besten miteinander aus.