Die Nicht-Schulreform in Hamburg

Hamburger Bürger haben entschieden: Es bleibt eher beim Alten, als dass sich Hamburgs Bildung mal einen Schubs gibt und auch nicht ganz so privilegierten Kindern eine bessere Chance gibt an einer besseren Bildung teil zu haben.

Meine 13jährige Tochter erklärte ihrem alten tüdeligen Vater, dass eine Verlängerung des gemeinsamen Schulbesuchs bedeute, dass die „besseren“ Schüler gebremst werden. Und schon heute das Erlangen des Abiturs – durch die verkürzte Zeit auf 12 Jahre – mehr Stress für die Kinder bedeuten würde als noch vor 5 Jahren. Ein Argument, welches nicht von der Hand zu weisen ist. Bemerkenswert ist allerdings, dass meine – ansonsten mit SEHR weitreichender sozialer Intelligenz ausgestatteten – Tochter ausschliesslich die Argumente GEGEN ein weitergehendes gemeinsames Lernen zur Hand hatte.

Der Grund dafür ist klar. Sie hat das Glück in einer „besseren“ Gegend auf die Schule gehen zu dürfen. Sie ist umgeben von den Kindern eben jener Ärzte, Rechtsanwälte etc. pp., die eben ein Interesse daran haben, so wenig wie möglich mit den Schmuddelkindern zu haben.

httpv://www.youtube.com/watch?v=bGhJbr7DMmg

Genau diese Haltung ist es aber, die eine bestehende Zweiklassengesellschaft manifestiert, oder wie es Udo Vetter gestern twitterte:

Herzlichen Glückwunsch an die Hamburger. Es wird auch zukünftig genug Müllmänner geben.

Sollte es nicht ein miteinander geben. Wo ist er, der soziale Rechtsstaat? Bei Wikipedia ist der Begriff wie folgt definiert:

Das Wort sozial (von lat. socius‚ gemeinsam, verbunden, verbündet‘) bezeichnet wechselseitige Bezüge als eine Grundbedingtheit des Zusammenlebens, insbesondere des Menschseins (der Mensch als soziales Wesen). Es taucht in mehreren Bedeutungen auf.

Verbunden, verbündet. Grundbedingtheit des Zusammenlebens. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Man will doch gar nicht zusammen leben. Vielmehr ist man darauf bedacht sich abzukanzeln. Wir hier oben – ihr da unten, so soll es auch bleiben. Durchlässig nur nach unten. Wer abrutscht ist weg vom Fenster, wird vergessen.

Allerdings muss ich meiner Tochter auch recht geben, denn nur vom längeren zusammen lernen wird noch nicht alles gut. Warum nicht so konsequent umsetzen, dass man stets „Bis zum bitteren Ende“ zusammen lernt. Wer nach 9 Jahren den Übergang zur Erlangung der Mittleren Reife nicht schafft, geht nach 9 Jahren ab. Wer nach ELF Jahren den Übergang zum Abitur nicht schafft, geht mit der mittleren Reife ab. Nach 14-15 Jahren wird dann der Schüler seine Abiturprüfung ableisten dürfen.

Höre ich da Wehklagen und Gejammer?

httpv://www.youtube.com/watch?v=uQQm7bKJskM

Leiden wir nicht ohnehin an einer massiven Arbeitslosigkeit? Was kostet uns mehr: Uns um die Jugendlichen zu kümmern, die auf der Strasse sitzen und mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen und aus Langeweile und Frust Blödsinn machen? Oder in unser Schulsystem zu investieren, den Kindern auch mehr Zeit zum lernen zu geben und ihnen bessere Chancen auf einen qualifizierten Bildungsabschluss zu ermöglichen?

Ein Abfallprodukt der längeren Verweilzeit in der Schule wäre wahrscheinlich auch, dass die Schulabgänger reifer sind, besser wissen wohin der berufliche Weg gehen kann und soll. Wer von uns hat denn als 13 jähriger schon gewusst wohin ihn der Weg führen wird. Gymnasiasten müssen aber schon bevor sie 13 sind entscheiden ob Sie die französische Sprache erlernen oder Latein. Diese Entscheidung ist wichtig, zum Beispiel für Mediziner oder Juristen. Sollte diese Frage erst später zum tragen kommen, wäre da so einigen Heranwachsenden wohl eher geholfen.

Aber das alles picht uns doch nicht an. Das Schulsystem ist ein Produktionsprozess. In kurzer Zeit und mit wenig Investition muss das Ergebnis stimmen. Wenn die Ausschussquote  nicht die Gewinne unserer Wirtschaft behindert, ist uns auch der Ausschuss egal. Aber verdammt: Dieser „Ausschuss“ sind junge Menschen. Wertvolle nette Menschen, die von uns lernen wollen und uns so sehr viel zurück geben können. WENN wir sie als Menschen ansehen und alles tun, was in unserer Macht steht, um Ihnen ein Leben zu ermöglichen indem es ihnen möglich ist sich unserer Respekt zu erarbeiten.

Wie aber wollen wir Respekt erwarten von Menschen, denen wir die Möglichkeit versagen – im Gegenzug – von uns respektiert zu werden.

Es geht nicht um Menschen, es geht um Geld und um Abgrenzungen. Und wer das von uns so gewünschte System als asozial bezeichnet hat dazu alles Recht der Welt. Mehr Geld für Bildung wird erst zur Verfügung stehen, wenn die Wirtschaft das Bildungssystem kritisiert. Derzeit werden nur die Kosten bemängelt.

Endlich: Senkung der Lohnnebenkosten

Nun wird es ernst – und ich glaube dies ist erst der Anfang. Die Lohnnebenkosten werden flexibel gesenkt. Lohnnebenkosten sind schliesslich DER Anteil des Lohns/Gehalts, den der Arbeitgeber anteilig an diversen Sozialleistungen mit trägt.

Die BKK Heilberufe und die GBK Köln fordern von ihren Kunden Zusatzbeiträge von bis zu 37,50 Euro pro Monat. Die BKK Westfalen-Lippe knöpft ihren Kunden zwölf Euro ab – und verteidigt die Forderung als sozial. (Quelle Spiegel)

Das heisst, dass eine die Lohnnebenkosten für Angehörige der beiden Krankenkassen real um 6.- bis 18,75 Euro gesenkt werden. Nämlich DER Anteil, den normalerweise der Arbeitgeber tragen müsste.

Dass man als Mitarbeiter einer Krankenkasse nicht unbedingt das grosse Latinum abgelegt haben muss, beweist die BKK Westfalen-Lippe gleich mit, denn schliesslich leitet sich der Begriff „sozial“ vom lateinischen socius ab, was soviel wie verbündet oder gemeinsam heisst. Aber genau diese Verbundenheit zwischen gut und schlechter Gestellten wird hier beendet. Es macht schliesslich einen Unterschied, ob ich von 800Euro 38,50€ abziehe oder von 4600€. Der „besser“ Verdienende zuckt mit den Schultern, während der einfache Beschäftigte den Lohnschwund deutlich spüren wird.

Die wahre Gewinner sind allerdings die Arbeitgeber, denn die sparen pro Angestelltem bis zu 18,75€, was bei 500 Mitarbeitern schon 9375€ im Monat und 112.500,- Euro sind. Kleinvieh macht schliesslich auch Mist – welcher aber noch auf dem Boden der großen Koalition beschlossen wurde.