Anonymität: Fluch oder Segen

Letztes Jahr schrieb ich ein paar Betrachtungen meinerseits bezüglich des Netzes. Vielleicht weil ich mich mit dem Netz an sich beschäftigte, war mein Hirn noch im „Bemerkmodus“ was das Netz und die Themen drumherum angeht, so dass ich meine Gedanken zu dem Thema „Anonymität: Fluch oder Segen“ sammelte.

Tja, was halte ich eigentlich von Anonymität im Netz? Wenn ich ehrlich bin  habe ich eine deutlich schizophrene Haltung zu diesem Thema. Auf der einen Seite gibt es einige Gründe, welche themenabhängig, eine Anonymität deutlich anzeigen. Auf der anderen Seite verleitet diese Anonymität aber auch einige Menschen  dazu jegliche Umgangsformen zu vergessen und sich wie die Axt im Walde zu benehmen. Schon sehr früh wurde im Usenet festgestellt (Quelle):

Warum wollen diese Leute keine Pseudonyme dulden?
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Der Grund ist einfach: Die erfahrenen User haben in der Vergangenheit
sehr, sehr schlechte Erfahrungen mit pseudonymen Autoren gemacht. Die
meisten waren der Ansicht, im – vermeintlichen – Deckmäntelchen der Anonymität mal so richtig die Sau rauslassen zu können. Sie haben dem Netz damit schwer geschadet und darüber hinaus eine äußerst skeptische Haltung pseudonymen Postern gegenüber erzeugt.

Auch im richtigen Leben würde – Karnevalsumzüge und dergleichen einmal ausgenommen – kaum jemand mit Maskierten debattieren, die einen auf der Straße ansprechen.

Es gibt zwar auch im de-Usenet einzelne Gruppen, in denen aus
bestimmten Gründen die Verwendung von Pseudonymen geduldet wird. dnq zählt aber mit Sicherheit nicht zu diesen Bereichen, sodaß hier die Angabe des Realnamens allgemein erwartet wird. Unter „Realname“ wird meist ein ausgeschriebener Vorname plus Nachname verstanden.
Spezielle Regeltexte legen aber beispielsweise für Abstimmungen
mitunter davon abweichende Definitionen fest.

Das Usenet war quasi die Krabbelgruppe des Internets wie wir es heute kennen: Viele Menschen mit mannigfaltigen Themen und Ansichten trafen aufeinander und tauschten sich aus. Quasi wie im echten Leben. Auch heute erlebe ich es immer wieder, dass sich Menschen hinter Nicknamen verstecken um „die Sau rauszulassen“. Mir tun diese Menschen – ehrlich gesagt – leid. Mit anonymen Nicknamen kann ich solange leben, bis diese missbraucht werden um sich unangemessen zu benehmen. Ob es Foren sind oder Onlinespiele, immer wieder begegnen wir Menschen die jegliche Kinderstube zu vergessen scheinen, wenn sie in scheinbarer Sicherheit agieren können.

Aber nimmt man diese Menschen ernst? Das Schlimme ist: Teilweise ja. Denn gerade wenn es um Beschimpfungen und Beschuldigungen geht, passiert es all zu leicht, dass das Opfer der Unsäglichkeiten dann entweder von anderen daraufhin angesprochen wird, oder – viel schlimmer – weil er kein stahlhartes Ego besitzt, sich den „Verbalangriff“ zu Herzen nimmt.

Wie einige Mitleser wissen spiele ich ein Onlinespiel: World of Warcraft oder kurz WoW. Während ich an diesem Artikel schriebt fiel mir eine Begebenheit von vor ein paar Wochen wieder ein. Ein (mir nicht bekannter) Spieler machte im Gruppenspiel einige derbe Fehler. Ich sprach/schrieb ihn darauf (sachlich-helfend) an, woraufhin er derbst anfing mich zu bepöbeln und zu verunglimpfen. Insgesamt ließ seine Ausdrucksweise und die Art seiner Auslassung darauf schliessen, dass er altersmässig eher in die Schule, denn in eine Ausbildung gehörte.

Zwei Dinge gibt es an der Stelle zu bemerken: Erstens besitze ich genügend Selbstbewusstsein um über dieser Art von Anfeindung zu stehen. Und zweitens tauchte bei mir die Frage auf, ob sich dieser Mensch trauen würde, sich mir gegenüber auch Aug in Aug dermaßen aufzuführen. Ich glaube er käme nicht einmal ansatzweise auf die Idee mich reizen zu wollen, wenn er mir gegenüber stehen würde. Aber hinter seiner Anonymität ist er sicher – und im Worst-case kann er sich sogar damit brüsten, es „dem aber gezeigt zu haben“.

Das Prekäre ist: Das Verhalten in der Sicherheit der Anonymität wird auf das reale Leben übertragen. Wenn 15-Jährige grundlos verprügelt werden, so ist das eventuell auch eine Folge der Anonymität in der Gesellschaft.

Ich bin für weniger Anonymität, wenn dies mehr Freiheit für alle bedeuten kann. Es geht nicht nur um das Individuum, sondern auch um den Rest der Gesellschaft

„Das Netz“ – Betrachtungen

Johannes Boie schreibt in der Schaltzentrale über seine Wahrnehmung des Netzes und motiviert mich es ihm gleich zu tun..

Im Anfang war das Netz wüst und leer. Dann wurde es vollgestopft mit irrsinnigen Datenmengen. Aber wüst blieb es immer noch. Jeder konnte, jeder durfte seinen Müll im digitalen Raum ablagern. Das war in den neunziger Jahren: knallbunte Webseiten unbekannter Amateure, Server voll illegaler Dateien und der Aufbau effizienter Datennetze zum widerrechtlichen Austausch urheberrechtlich geschützter Dateien.

War es wirklich so? Habe auch ich „das Netz“ so wahr genommen? Als Müllkippe und als Datennetz für den widerrechtlichen Austausch urheberrechtlich geschützter Daten?

OK, ich gebe zu ich habe damals (LANGE verjährt und vor allem bevor „hacken“ ein Straftatbestand war..) mittels Leih-NUIs auf fremden Vaxen „rumgespielt“ und dank Phineas mit anderen „Besuchern des Wirtsystems“ gechattet.  Jaja, die gute, alte Zeit … Aber das war Datex-P und noch nicht „Das Netz“. Die zarten Anfänge des Netzes bedeuteten für mich das Aufkommen von UUCP und Netnews(NNTP). Später dann Archi, Gopher und Konsorten. Aber was waren die Inhalte auf die ich damals Zugriff? Zuerst ist dort die generelle Kommunikation mit Gleichgesinnten zu nennen. Zu den Themen Datenkommunikation (achwas..), Betriebssysteme etc habe ich mich mit Gleichgesinnten aus aller Welt ausgetauscht. Es ging nicht um kopierte Software. Es ging um das Netz und um Computertechnik im Allgemeinen. Dazu noch ein wenig Smalltalk und das schöne war: Man lernte einander kennen. Es gab zwar Pseudonyme (Nicknamen), aber dennoch wurde IMMER auch der Realname angegeben. Ich wusste wer sich hinter den Nicks Frimp, Snake, Ca$h, Framstag und all die Anderen Pseudonymen verbarg. Man war nicht anonym und man benahm sich.

Aber Boie schreib auch im Schlußsatz :

Nach dem Zeitalter der digitalen Anarchie im letzten Jahrhundert kann jetzt ein durchgepflügtes Feld bestellt werden. Die Erträge werden gut sein. Für ganze Branchen ist dies ein Grund aufzuatmen. Für Freunde der digitalen Kultur eher nicht.

Dem ist nicht hinzuzufügen. Denn wie sagte (ich glaube es war) Hacko so treffend: Das Internet ging kaputt als der „KAUFEN-Button“ erfunden wurde. Ich würde sogar soweit gehen, dass „mein“ Netz aufhörte zu existieren als AOL seine Tore öffnete. Nichts hat das Netz so sehr verändert wie der Ansturm der Maßen (motiviert durch die anbietende Industrie!). Nicht dass ich falsch verstanden werde – ich bin fest davon überzeugt dass freie Kommunikation unser aller Leben deutlich bereichert und dass jeder mensch ein Grundrecht hat sich aus allen(!) Quellen mit Informationen zu versorgen. Das generelle Problem, dass ich immer noch sehe ist der Umgang von Kommerz und Politik mit eben diesem Netz.

Und wie siehst Du das Netz – gestern und heute?