Über Dreistigkeit und Unverfrorenheit

Es gibt genügend Arbeitsplätze – nur nicht genug Arbeitswillige. Das scheint der Vorstandsvorsitzender der Marseille-Kliniken AG, Ulrich Marseille (Über Marseille gibt es auch einen bemerkenswerten Wikipedia-Artikel) so zu sehen und entblödet sich nicht seine kapitalistische Gier offen zur Schau zu stellen. Solche frechen Aussagen wird man nur lesen können, wenn die herrschende kapitalistische Klasse sich sehr-sehr sicher ist, dass sie die absolute Macht besitzen. Bei ein wenig sozialem Anstand und Verantwortungsgefühl würde Marseille als Ausbeuter von Politikern geschasst und seinen Aktionären wegen schlechtem Marketing vom Hof gejagt. Aber in der jetzigen Situation darf man so frech sein.

Marseille betreibt als Vorstandsvorsitzender der Marseille-Kliniken AG in Deutschland 61 stationäre Altenpflege-Einrichtungen mit knapp 9000 Betten und 6000 Mitarbeitern. Er will mindestens 500 Hartz-IV-Empfänger einstellen und ihnen bis zu 400 Euro im Monat zahlen. Bewährt sich ein Arbeitsloser, will Marseille ihm nach zwei Jahren eine feste Arbeitsstelle anbieten. Nach seiner Einschätzung könnte ein Drittel dieser Hartz-IV-Pflegehelfer dauerhaft in der Branche bleiben. (FAZ) (Hervorhebung von mir)

Da soll den Hartz-IV Beziehern tatsächlich 400€ pro Monat bezahlt werden – und das bis zu 2 Jahre lang? Es spricht für die Situation in diesem Land, dass sich jemand überhaupt – unter Nennung seines Names und nicht anonym – traut Arbeitsplätze mit solch einem Hungerlohn anzubieten.

Man darf nicht vergessen, dass jeder dieser angebotenen Arbeitsplätze zu 99% direkt durch Hartz-IV Zuzahlungen (Steuergelder..)  subventioniert ist. Oder glaubt hier jemand, dass man hier in Deutschland (nicht bei Continental in Tunesien) von 400€ leben kann? Allein die Miete dürfte typischerweise diesen Betrag übersteigen.

Marseille nimmt wirklich kein Blatt vor den Mund:

Dennoch sieht er auch eine staatsbürgerliche Verpflichtung der Langzeitarbeitslosen, dem Staat, der sie finanziert, auf diese Weise etwas zurückzugeben. Aus seiner Sicht ist die Einstellung Langzeitarbeitsloser für alle Beteiligten ein gutes Geschäft. Er selbst sparte erheblich gegenüber der Anstellung einer regulären Hilfskraft, die bis zu 1800 Euro brutto verdient. Das Argument zählt, denn wie fast alle Pflegeanbieter – gemeinnützig, privat oder öffentlich – drücken ihn die steigenden Kosten noch mehr als der Personalmangel.

Ja, tatsächlich ein gutes Geschäft: 500 Personen denen man JE 1400 weniger bezahlen muss – sind 700.000 Euro Ersparnis für seine Aktiengesellschaft IM MONAT! Und nun nochmal – sollte es in Vergessenheit geraten sein: Marseille ist Vorstandsvorsitzender der Marseille-Kliniken AG. Hat jemand einen Verdacht, was man so als Vorstandsvorsitzender dieser Aktiengesellschaft für ein Einkommen hat? Was er verdient, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das darf ich hier nicht schreiben, denn es wäre Aufruf zu einer Straftat.

Revolution anybody?

8 Gedanken zu „Über Dreistigkeit und Unverfrorenheit

  1. Warum Vorstandsbezüge schätzen: Im GJ 2008/2009 hat der Gesamtvorstand bestehend aus 2 Personen insgesamt 637.000 Euro erhalten. Auf den Vorsitzenden entfielen 362.000 Euro. Aktuelle Zahlen sind noch nicht publiziert…

  2. Wobei ich mich persönlich viel weniger über die Tatsache aufregen würde, das da ein paar Personen sehr viel (und auch sicher viel zu viel) bekommen, während die die es VERDIENEN mit max. 1800€ (Brutto!!!!) abgespeist werden. Bei aller Liebe… dieser Job beinhaltet die folgenden Tätigkeiten:

    * allgemeine Pflege (Versorgung, Transport, Alltagsbeschäftigung)
    * Unterstützung( ggf. Durchsetzung) der körperlichen Reinigung
    * Umgang mit Alterserscheinungen (Demenz, Alzheimer etc.)
    (diese Liste kann durchaus auch noch weiter geführt werden)
    Das sind Tätigkeiten, die der einfache Bürger nicht übernehmen will und sie daher abschiebt!
    Wobei immer nicht vergessen werden darf (zynisch gesprochen): den betreuten Personen wird es tendenziell immer schlechter gehen und sie sterben einem unter der Hand weg… Das ist der Lauf der Dinge, aber auch eine starke Belastung für den Betreuer.

    Die Verdienstmöglichkeiten sind aber dermaßen unter aller Sau, das ich mich schon fast schämen muss, einen studentischen Nebenjob zu besitzen, der vom (hochgerechneten) Einkommen her ca. das doppelte hergibt 🙁

    Und dann kommt so ein BWL-Fuzzi und erzählt was von 400,- für 2 Jahre, während man weiterhin arbeitslos bleibt. Er sich aber auf Staatskosten bereichern kann? Lächerlich!
    Beschämend ist aber das unsere Gesellschaft es zulässt, dass solche Personen es wagen können öffentlich aufzutreten, ihre Meinung zu sagen, ohne vom Großteil der Bevölkerung geteert und gefedert zu werden (wenn es geht erstmal verbal ^^)!

  3. @Robse:

    Bin selbst BWLer (auch wenn mir die Technik mehr liegt) und ich kann nicht behaupten, das ich das gut finde. Vielmehr scheint mir die moralisch/ethische Einstellung der „Entscheider“ eine Rolle zu spielen.
    Das was du machst (nämlich die BWLer in einen Topf zu werfen), ist keinen Deut besser, als alle H4ler als Schmarotzer darzustellen (wie es der Westerwelle gemacht hat). Hier wäre etwas mehr Zurückhaltung sicher angebracht.

    Ansonsten stimme ich dir aber voll zu, dass die Menschen in solchen Jobs deutlich besser verdienen müssen.

  4. Anmerkung: Früher wurde einmal das Gesetz von Angebot und Nachfrage definiert, welches die Preise regelt. Demnach müsste mal versucht werden dem Pflegepersonal anstelle einer massiven Gehaltssenkung eine Gehaltssteigerung zukommen zu lassen.

    Ich habe Hochachtung vor allen Menschen die in Pflegeberufen arbeiten, denn es ist ein – auch emotional – sehr schwerer Job. Auch wenn er nur wie ein Hilfsarbeiterjob bezahlt wird.

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