Was könnte ein Berater der #digiges geraten haben?

Dass Markus Beckedahl mit seinem „Digitale Gesellschaft e.V.“ (Digiges) irgendwie eine Art Fehlstart hingelegt hat, lässt sich kaum verleugnen. Ob der Shitstorm und das Gebashe wirklich berechtigt sind, wird die Zeit zeigen. Aber was hätte man anders machen können, wie hätte Markus diesen Aufruhr vermeiden können?

1) Der Vorwurf der Arroganz

Es wird den Vertretern (für mich nachvollziehbar) ein gerüttelt Maß an Arroganz vorgeworfen, da sich der digiges – zumindest per Namensgebung – als Vertreter aller Bewohner des digitalen Dorfes (verdammt, das ist mittlerweile eine Großstadt/ein kleiner Kontinent geworden) vorstellt. Um hier keinen Konfliktstoff zu sehen, muss man schon über ein ausgesprochen grosses  Stück Selbstvertrauen verfügen. Vielleicht wäre es schlauer gewesen im ersten Schritt unter einem anderen Namen zu arbeiten und die „Digitale Gesellschaft“ erst bei einer bereits erfolgten breiteren Akzeptanz in der Netzwelt aus dem Köfferchen zu holen.

2) Der Alleinvertretungsanspruch

Da stellt sich einer vor das digitale Volk und erklärt: Ich habe da etwas gegründet, das ab sofort eure Interessen vertritt. Das fühlt sich – wenn das so von 0 auf 100 geschieht – ein wenig wie eine versuchte Machtübernahme an. Vielleicht wäre es klüger gewesen, andere Organisationen (wie z.B. den CCC, den FOEBUD, den AK Zensur und andere) an einen Tisch zu holen und von diesen der Onlinewelt erklären zu lassen:“Seht her, da gibt es eine übergeordnete Interessenvertretung“. Zumindest Alvar Freude (AK Zensur) scheint aber auch nicht vollumfanglich glücklich über die Art des Auftreten von Digiges zu sein. Seitens anderer „typischer Verdächtiger“ habe ich noch keine konkrete Meinung zu der Digiges gehört. Also auch kein positives Echo.

3) Wir machen was wir wollen

Die Digiges machte den Fehler, sich mit dem Mantel des „Wie können uns nicht total öffnen, weil sonst alles durcheinander geht“ zu schützen. Dieser Schutz ist – für die Realisten unter uns – zwingend erforderlich. Aber seitdem es so etwas wie das Web 2.0 gibt, besteht die Möglichkeit denjenigen, die man vertreten möchte Mittel in die Hand zu geben, informell in die Meinungsfindung einzugreifen. Wer mittels so hohem Anspruch in die Welt hinaustritt, sollte derartige Tools direkt präsentieren können. Eine erste Idee, die mir sofort einfällt, ist eine Art Petitionssystem, mittels dessen Bürger „Befindlichkeiten“ melden können und von anderen unterstützt werden. Man kann dem Deutschen nicht einerseits vorwerfen, stets einen Leithammel zu brauchen, um dann andererseits genau diesen Leithammel versuchen zu installieren.

4) Die Mitglieder befinden sich im Schatten

Der Digiges möchte OB Vulgaris (normaler Onlinebürger) vor Gesellschaften und politischen Gremien (Deutschland und Europa) vertreten,  sträubt sich aber,  die Namen und Gesichter der betreffenden Personen zu zeigen, sie sind nicht öffentlich. Warum sollte ich mich als Netzbürger von einem „Phantom“ vertreten lassen? Habe ich als Individuum nicht das Bedürfnis mir genau anzuschauen, wer mich und meine Interessen vertritt? Es gibt in der deutschen Onlineszene ein paar Menschen von denen ich mich niemals vertreten lassen würde, da diese Personen – total subjektiv – einfach nicht mein Vertrauen haben. Eine Tabelle der derzeitigen Mitarbeiter inklusive einer – späteren – Option  der Onlineabstimmung um einzelnen Personen als „Vertreter der Masse“ das Vertrauen auszusprechen – oder eben auch zu entziehen wäre doch nicht zu viel verlangt, oder?

Alles in allem habe ich das Gefühl, dass das Konzept „digitale Gesellschaft“ eher (a’la John Wayne)  aus der Hüfte geschossen wurde, nachdem man sich generell einig war „etwas in der Art“ zu machen. Manche Projekte sind wie ein Wein. Sie müssen reifen – auch gern im Dunkeln – bevor man sie in den Ausschank bringt. War am Ende der Termin der re:publika zu früh? War es eine Frühgeburt aufgrund eines „wir brauchen den Boost der Veranstaltung“? Wenn dem so war, hätte man besser eine andere Veranstaltung zum Launch genutzt – auch wenn diese nicht zwingend von Beckedahl mitveranstaltet wird.

Internetsperren und Strafvereitelung im Amt

Alvar Freude berichtet in seinem Blog ODEM über eine Auswertung der dänischen Internet-Sperrlisten. Dem zu Grunde liegt eine Auswertung des dänischen ISP Siminn.

Demnach sind 97% der zu sperrenden Server in USA (916 Server), Kanada (13 Server) oder Deutschland (11 Server). Bemerkenswert ist nicht nur die unsagbar hohe Anzahl von Servern die in den USA liegen, sondern vor allem das es anscheinend nicht geschafft wird, in diesen Länder eine funktionierende Instanz (bestehend aus Staatsanwaltschaft und deren Hilfstruppen) zu schaffen, die diese Server tatsächlich vom Netz nehmen.

Oder liegt es an der unterschiedlichen regionalen Gesetzgebung? DANN allerdings würde uns eine europäische Version der Sperrliste keinen Meter nach vorn bringen. Denn für die klägliche Anzahl von „Restservern“ die vielleicht noch sperrbar wären, lohnt sich dieser Aufwand sicher nicht.

Warum werden die 13 Server in Deutschland nicht vom Netz genommen? Welche Behörde ist dafür verantwortlich? Greift da eventuell Strafvereitelung im Amt? Oder sind es unüberwindbare Sprachprobleme, die es den dänischen Behörden unmöglich machen, mal kurz beim BKA anzurufen und den Herren den Tipp zu geben „Schaut mal auf den Server 1.2.3.4 oder http://loeschen.de ?

Es ist widerlich, dass diese Unfähigkeit der Ermittlungsbehörden anscheinend auch noch von vollmundigen Reden der ahnungslosen Politiker(die nur den Überwachungssstaat ausbauen wollen) legitimiert wird.

Haben die Sperrprovider nun einen Anspruch auf Kostenerstattung?

Nachdem die Internetsperren nun erstmal nicht umgesetzt werden, stellt sich mir die Frage ob das BKA, das Innenministerium oder gar das Familienministerium für die den Providern entstandenen Kosten schadensersatzpflichtig sind. Denn die Provider haben sicherlich einen deutlich mehrstelligen Betrag investieren müssen. Oder lacht Frau von der Leyen weiterhin und ihr sind die Folgen ihres Handelns weiterhin so egal, wie man es bislang von ihr kennt? Oder müssen die Kunden der Provider nun die Dummheiten des dynamischen Duos Schäuble/von der Leyen mit ihren Gebühren bezahlen?

Alvar Freude hat den Brief des BKA-Präsidenten anscheinend in die Hände bekommen (PDF bei ihm im Blog):

Sehr geehrte Herren,

in Bezug auf die vorgesehene Zugangserschwerung zu kinderpornographischen Inhalten im Internet auf vertraglicher Grundlage hat das Bundesministerium des Innern im Lichte des derzeit vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden anhängigen Verfahrens und des durch eine drohende Negativentscheidung zu befürchtenden Schadens sowohl für die betroffenen Provider als auch für das BKA entschieden, auf vertraglicher Grundlage nicht in den Wirkbetrieb zu gehen.

Das Zugangserschwerungsgesetz liegt dem Bundespräsidenten zur Ausfertigung vor. Im Hinblick auf dessen Umsetzung bleibt der Ausgang der Koalitionsverhandlungen abzuwarten.

Wir bedanken uns für Ihr Verständnis und sehen einer Fortsetzung der bisherigen guten Kooperation entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Ziercke