Ich sehe Überschriften voraus

Einer Polizeipressemitteilung von heute entnehme ich:

Bei dem Opfer handelt es sich um eine 52-jährige schwerbehinderte Frau, die bei ihren Eltern (78, 80) gelebt hat und von diesen zeitlebens gepflegt wurde.

Die Mordkommission hat die Ermittlungen übernommen. Nach dem jetzigen Erkenntnisstand besteht der Verdacht, dass die 52-Jährige erstickt wurde. Die genauen Tatumstände stehen noch nicht fest. Ein erster Tatverdacht richtet sich gegen die Mutter (78) des Opfers. Sie wird derzeit von den Kriminalbeamten vernommen.

Ich ahne schon die Überschriften des morgigen (und eventuell folgender) Tages: Todesomi erstickt behinderte Tochter.

Ohne die Tat- und Lebensumstände genauer zu kennen: Meine Hochachtung gilt der alten Dame, die wahrscheinlich 52 Jahre lang ihre schwerbehinderte Tochter gepflegt hat. Vielleicht war der Auslöser der Tat, dass die Mutter selbst im Alter von 78-Jahren nicht mehr in der Lage war, ihre Tochter zu pflegen. Ich bitte die Ermittlungsbehörden, den Staatsanwalt und vor allem den Richter um Gnade für die Frau, die – auch wenn Sie jetzt ein Tötungsdelikt begangen haben SOLL – unser aller Respekt, dass sie ihr Leben in den Dienst ihres Kindes stellte.

Ich denke dem Leben, dass meine beiden Kinder gesund sind und mir so viel Freude bereiten. Ich liebe euch …

Früher wurde man namentlich begrüsst

Früher – als meine Kinder noch im Kindergarten waren – wurde ich von den Erzieherinnen (ja, es gab nur weibliches Personal) namentlich begrüsst. VIEL früher wurde ich auch vom „Kaufmann um die Ecke“ mit meinem Namen begrüsst – man kannte sich halt, alles war noch übersichtlicher.

Was allerdings heute in den 17 evangelischen Kindertagesstätten in Berlin-Mitte los ist, entzieht sich meiner Kenntnis und macht mir deutlich Angst:

Per Fingerabdruck sollen sich Eltern in Zukunft an evangelischen Kitas in Berlin ausweisen. Damit wollen die Einrichtungen verhindern, dass Unbekannte die Kinder abholen.

schreibt der Tagesspiegel. Sind die Kindergärten in Berlin-Mitte so gross oder so anonym? Das lässt ja deutlich auf pädagogische Misstände schliessen.

via Netzpolitik.org

Wehret den Anfängen: Zucht und Ordnung im Freiheitsstaat

Heute gab es – nicht nur – in Hamburg – einmal mehr Schulunterricht für unsere kleinen Staatsbürger, in denen den zukünftigen Wählern gezeigt wird, wie Demokratie und Grundrechte funktionieren.

Die Welt schreibt:

Die Schüler beklagen zu große Klassen, eine mangelhafte technische Ausstattung, allgemeinen Lehrermangel sowie marode Zustände der Räumlichkeiten.

SUPER! Ich finde es hervorragend, wenn sich unsere Schüler/Innen nicht nur in die Klassen setzen und sagen „Pauker, bringe mir etwas bei“, sondern wenn sie Zeichen setzen. Ich frage ich, mit welchem recht jeder Arsch heutzutage Puderzucker in Milliarden-Euro Beträgen in den Enddarm geblasen bekommt, aber die Schüler die leidtragenden sein sollen. Sie sind unsere Zukunft!

Die Welt schreibt weiter:

In zahlreichen Schulen war den Teilnehmern des Streiks mit Verweisen gedroht worden.

und

Bremens Schulsenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) wies darauf hin, dass Schüler zwar ein Demonstrations- aber kein Streikrecht hätten.  Zu dem Unterrichtsausfall sagte sie, dass die Schüler oder ihre Eltern die Verantwortung für die Pflichtverletzung übernehmen müssten.

Natürlich haben Schüler kein StreikRECHT. Wo kämen wir denn da hin, wenn Schüler die gleichen Rechte hätten wie Arbeitnehmer, welche schwer für ihre Rechte gekämpft haben.  Zwar gibt es Schülervertretungen, aber wirklich etwas zu sagen haben diese nicht. Selbst Elternvertreter, Elternräte etc. pp. sind doch mit dem grossen Maulkorb eines diktatorischen Bildungssystems ausgestattet.

Ich erfuhr üner Umwegen, dass meine (nicht einmal jugendliche) Tochter heute an dem Schulstreik teilnahm. Mein erstes Gefühl war Stolz, denn ich konnte davon ausgehen, dass sie nicht zur Demo gegangen ist, weil es eben keine Schule, sondern „frei“ ist. Nein, sie ging zur Demo um durch ihre Anwesenheit ihre Meinung kund zu tun. Also das, was man für gewöhnlich als den tieferen Sinn hinter einer Demonstration sieht. Und NEIN, es ist nicht das Steineschmeissen oder „Bullenschubsen“, was in unserem Grundgesetzt verankert ist, es ist das friedliche Demonstrieren, welches die Möglichkeit bietet auf Misstände aufmerksam zu machen.

Wie empfand meine Tochter die Demo?

Es begann damit, dass die Schulleitung (eines Gymnasiums) versuchte die Schüler einzuschüchtern: „Für die Teilnahme an der demonstration werden keine Entschuldigungen anerkannt. Ihr unterliegt der Schulpflicht.“ Dieses wurde nicht augenzwinkernd mitgeteilt (so wie es vor 30 Jahren – zu meiner Zeit geschah), sondern es wurde versucht die „Macht“ und Autorität darzustellen. Der erste Versuch der Einschüchterung unserer zukünftigen Wähler. Vor 30 Jahren wurde ich von meinen Lehrern ermutigt meine Rechte wahr zu nehmen, wir diskutierten das „Für und Wider“ und stellten – mit dem Lehrer – fest, dass es Dinge gibt für die es sich lohnt auch Restriktionen hinzunehmen. Müssig zu erklären, dass es natürlich keinerlei restriktionen gab.

Nachdem meine (minderjährige!) Tochter dann am Ort des Geschehens eintraf, wurde ihr sehr plastisch gezeigt, wofür unser Staat Geld hat, denn wir kommen zum zweiten Versuch der Einschüchterung. Die aufbebotenen Polizeikräfte standen in VOLLER Montur bereit. VOLLES Programm: Ausgestattet wie Rugby-Spieler (wobei DIESE keine Schlagknüppel haben), wurde meiner Tochter doch etwas blümerant. Hier zeigte sich der Staat von der besten Seite: Volle Kanne drauf – den zukünftigen Wählern zeigen, dass mit der Staatsmacht nicht zu scherzen ist. Das Durchschnittsalter mag irgendwo bei 15 gelegen haben. Da kann man als verantwortlicher Polizeiverantwortlicher nicht vorsichtig genug sein. Und genau DIESER Verantwortliche wundert sich in 4 Jahren, wenn ehemalige Schüler sofort gewaltbereit sind? ICH wundere mich nicht, wenn dort der Begriff „Verhältnissmässigkeit der Mittel“ so wunderschön gelehrt wird.

Interessantes ist auch dem Artikel der FAZ zu entnehmen, der wunderschön aufzeigt, wie sich „die an der Macht“ (Regierungsparteien) gegen die Schüllerdemo aussprechen, dahingegen die Oppositionsparteien den Schülerstreik nachvollziehen können.

Mittlerweile berichtet auch die Tagesschau darüber.

GANZ frisch kommt hier auch gerade ein Eintrag aus einem Blog rein, wo eine Beteiligte 12-Jährige ihre Eindrücke wieder gibt:

Denn als ich dort war, waren Polizisten wie sonst was da, mit Knüppeln und Schutzkleidung, als wenn wir ganz ganz schlimme Straftäter wären. Ich hätte einen verprügeln können und hätte nichtmal Jugendstrafrecht gekriegt (Bin ja 12 ^-^), aber wir sind natürlich trotzdem total gefährlich.

Ja, lieben Kinder, gewöhnt euch achon mal dran, in einem Staat zu leben, in dem die Grundrechte nichts mehr gelten und in dem ihr von der Schule nur noch Mathe und Englisch beigebraht bekommt, die Staatsbürgerkunde aber zu einem „halte die Fresse und zahle Steuern“ verkommt.