Das (Des)Informationszeitalter

Wir schreiben das Jahr 2016. Wir sollten im Informationszeitalter leben, sprich wir haben nahezu alle Informationen jederzeit direkt im Zugriff. Aber irgendwas läuft dennoch deutlich aus dem Ruder.

Als ich noch zur Schule ging – lang ist es her – begab ich mich ungefähr alle 2 Wochen mit einer großen Tüte zur öffentlichen Bücherhalle. Ich saugte Wissen auf wie ein Schwamm, mich interessierte vieles. Die Naturwissenschaften hatten es mir angetan. Politik und Geschichte – damals- noch nicht so. Die Bücherhalle war großartig. Sie war (und ist) ein schier unaufnehmbarer Berg an Input/Wissen.

In Zeitalter des Internets es einfacher. Ich muss nicht einmal mehr das Haus verlassen, denn Dank Internet und Suchmaschinen habe ich deutlich mehr Input direkt im Zugriff als jemals eine einzelne Bücherhalle/Bibliothek zur Verfügung stellen könnte. Und wenn ich unterwegs bin, greife ich zum Smartphone und kann während einer Unterhaltung im Restaurant/Bus schnell recherchieren, ob das, was ich glaube zu wissen, den Tatsachen entspricht. Fa-bel-haft!

Aber irgendwas läuft auch aus dem Ruder. Denn das „Wissen“, was früher in der letzten Stunde des Stammtisches verschwurbelt zum besten gelallt wurde, findet sich heute als „Information“ gleichwertig neben der aufwändig recherchierten, und auf Fakten (nicht Alkohol) basierenden Doktorarbeit. Es wird für den nicht ganz so kritischen Menschen schwieriger zu erkunden, welche Informationen fundiert sind und welche schlicht Märchengeschichten. Denn die Märchengeschichten (um nicht zu sagen Hirngespinste) verbreiten sich in gewissen Kreisen wie Lauffeuer. Diese Desinformationen werden oft von einem „Hast Du schon gehört“ oder „Du wirst es nicht glauben“ eingeleitet. Es gibt informelle Gruppe, die bewusst – und aus eigenem Interesse – Fehlinformationen genau SO platzieren, dass sie einen „Hallo-Effekt“ hervorrufen. Ob es um Chemtrails, die BRD-GmbH, Impfgegner, Kreationisten, Flatearth oder Reichsbürger geht. Jede Randgruppe hat ihren Bereich indem man sich gegenseitig die informellen Bälle zuspielt und so einen Bereich im Internet schafft, in der sich ein Informationsuchender intellektuell verlaufen kann.

Wir befinden uns in einem Bereich, in dem Teilen der Bevölkerung die Meinungsfreiheit auf die Füße fällt. Natürlich darf – und das ist auch gut so – jeder seine Meinung in Wort Schrift und Bild frei äußern. Dem Grundgesetz sei Dank. Aber weil jeder alles formulieren darf, darf der Empfänger der Botschaft nicht unkritisch werden. Es gibt vertrauenswürdige und eben auch keineswegs vertrauenswürdige Quellen. Selbst Quellen, denen man generell blind vertrauen kann, sind nicht dagegen gefeit auch mal „daneben“ zu liegen. Man soll und muss stets den eigenen Kopf nutzen. Informationen hinterfragen, prüfen ob es „Informationen“ oder Fakten sind, die mir gerade präsentiert werden. Insbesondere wenn ich Informationen verbreite (teile) habe ich eine Verantwortung wie sie jeder Journalist hat: Ich sollte eine – glaubwürdige, unabhängige – Sekundärquelle vorweisen können. Das Argument „das habe ich im Internet gelesen“ ist nicht valide. Jeder kann eine Webseite (Facebookposting) erstellen und dort schreiben: „Bob Dylan ist der Vater des amerikanischen Präsidenten von George Washington“. Nun kann ich auf diese Webseite/Posting ´verweisen und sagen: „Sieh, dort steht es“. Wird es aber dadurch wahr? Wohl kaum.

Umso mehr Informationen uns präsentiert werden, desto wichtiger wird es die Quellen sowie die Plausibilität des Inputs zu prüfen. Wie kommt es, dass der Berufsstand der recherchierenden Journalisten als „Lügenpresse“ verunglimpft wird (ok, ein paar Leute sind auch in diesem Bereich „bemerkenswert“ daneben – aber dies sind Ausnahmen!), andererseits aber schwurbelnd lallende Verschwörer (die nur rudimentär der deutschen Sprache mächtig sind) zu Meinungsmachern werden?

Deutschland erwache! – Im Sinne von Kurt Tucholsky

Wenn Christen und Moslems essen gehen

Cem Basman brachte mich mit seinem Blogeintrag

Martin Luther King und Malcolm X stehen für zwei gegensätzliche Optionen, wie „nationale Minderheiten“ behandelt werden wollen. King war ein Verfechter der Integration und Gleichberechtigung. MalcolmX ein Befürworter der getrennten Wege und dem Jeden-nach-seiner-Fasson vereinfacht gesagt. Für beide Optionen gab und gibt es gute und weniger gute Gründe.

auf eine Parallele zwischen den Themen Glaube und Essgewohnheiten (Cem, meine Muße..). Könnte man den Glauben nicht einmal kurzfristig mit Essgewohnheiten gleichsetzen? Also das derzeit schwelende Thema „Christen vs. Moslems“ mit dem Thema „Fleischfresser und Veganer“?

Es gibt Veganer, die ernähren sich schweigend vegan. Sie versuchen nicht zu bekehren und drängen niemanden auf, ihre Essgewohnheiten zu übernehmen. Komme ich super mit klar – kein Problem. Genau so gibt es die Fleischfresser, die einfach Fleisch in jedweder Form und Menge zu sich nehmen. Solange niemand versucht den anderen zu bekehren, man bei einem Bier/Wein/Whatever zusammen sitzt und sich über seine Erfahrungen mit den jeweiligen Essgewohnheit austauscht: Super! Wer sich tiefer gehend mit dem Themenkomplex Ernährung auseinander setzen möchte, studiert vielleicht Ökotrophologie.

Nur wenn die eine Seite versucht die andere zu „bekehren“ oder zu unterdrücken, sind Probleme programmiert.

Schwierig kann zum Beispiel die Situation werden, wenn Veganer und Karnivoren gemeinsam essen gehen möchten. Wenn – worst case – beide Fraktionen annähernd militant sind, muss entschieden werden: Salatbar oder Frikadellenspezialist. Hier muss zwangläufig eine „Ansicht“ zurückstecken, wird also von der anderen Seite in der persönlichen Freiheit eingeschränkt.

Lösbar ist das Problem, wenn eine Lokalität aufgesucht wird, welche sowohl eine große Auswahl an veganen Gerichten als auch an fleischhaltigen Speisen anbietet. Hier können alle Beteiligten sich frei nach ihren Vorlieben ernähren. Man kann gemeinsam lecker essen, Spaß haben – diverse Getränke zusammen einnehmen und vielleicht wird ein langer Abend und eine Verabredung für das nächste Wochenende daraus.

Wenn ich obiges auf den Glauben übertrage. In welchem Land möchtest Du leben? In der Salatbar oder der Frikadellenbraterei? Wäre es nicht toll, wenn man stets genau DAS machen könnte, wonach einem der Sinn gerade steht? Im Zweifel heute Salat und morgen ein blutiges Steak? Ich möchte nicht nur von radikalen Christen/Moslems/Buddhisten/Juden/whatever umgeben sein. Ich möchte mit allen reden können. Gemeinsam am Tisch sitzen.

LOBLIED – ein Gastbeitrag

Es folgt ein Gastbeitrag meiner Ehefrau. Ein Loblied auf unser beider Wahlheimat.

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Unsere Shopping-Mall hat aktuell eine Ausstellung mit lebenden, exotischen Tieren. Papageien, Frettchen, Schlangen usw.
Gestern nach dem Einkaufen schlenderte ich durch die Passagen und guckte mir das eine oder andere Tier genauer an. Vor einem Kasten blieb ich etwas länger stehen, denn darin befand sich eine Riesen-Vogelspinne.

Während ich das Tier betrachte, kommt eine Mutter mit einem kleinen Mädchen. „Una araña, “ sagt die Mutter. „Eine Spinne.“„Donde, donde?“ fragt die Kleine. „Wo denn?“ „Aquí,“ sage ich, soviel Spanisch kann ich noch. Ich zeige auf die Spinne, die sich ganz ins Eck verkrochen hat. Das Mädchen reißt die Augen auf: „Ooooh!“

Ein paar Schritte weiter, ich habe die Shopping-Mall verlassen, stehe ich an der Ampel. Neben mir unterhält sich ein Pärchen. Russisch oder Polnisch? Ich verstehe ein paar Wortfetzen. Auf der anderen Straßenseite warten drei Jugendliche. Zwei sind schwarz, einer hell und bebrillt. Sie scherzen miteinander. Eine Frau mit Hijab kommt dazu, sie schiebt einen Buggy mit einem kleinen Mädchen darin. Ich lächle beide an. Die Frau lächelt freundlich zurück.

Ich biege in meine Straße ein, ein kleiner Junge läuft mir entgegen. Sein Eltern rufen ihn. Seine Mutter trägt auf der Stirn ein Bindi, einen aufgemalten Punkt. Ihr Sari strahlt rot im Abendlicht.

Ich wohne in Hamburg in einem Stadtteil, der kürzlich von Die Zeitirgendwie liebevoll, aber auch etwas abfällig als „Die Bronx von Hamburg“ bezeichnet wurde. Der traurige Held in Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ verbringt hier seinen Alltag – wenn er nicht gerade auf irgendeinem Schützenfest auf dem Land mit den Tiffanys auftritt. Bewohner anderer, angesagter Stadtteile, setzen keinen Fuß in diese Tristesse, wenn sie nicht müssen. „Zu viele Kopftücher“ hört man dann schon mal. Ghetto, Assi-Stadtteil usw. Wenig charmant. Grau, trist, spießig soll es hier sein. Das Gegenteil also von schick und angesagt. Das ist Harburg. Das ist mein Stadtteil. Der „falsche“ Stadtteil.

„Ausländer, wo man hinschaut“.  Der besorgte Bürger ist auch in Hamburg zuhause und pflegt rassistische Ressentiments, gerne auch mit musikalischer Unterstützung: „In Harburg fängt der Balkan an“ singt Willem F. Dincklage. Und Beginner ergänzt in holpriger Grammatik: „Denn da im Süden von der Elbe, da sind die Leute nicht dasselbe.“

Ich schließe die Wohnungstür auf und denke so bei mir, wie wunderbar es ist, in diesem Teil Hamburgs zu leben. Wir verbinden mit Großstädten häufig Internationalität. Denkt man z.B. an New York kommt einem schnell der Begriff Melting Pot in den Sinn.
Ich frage mich, warum das, was ich an anderen Metropolen so charmant finde, bei mir zuhause beängstigend oder abstoßend sein sollte.  Ich empfinde es als Bereicherung, dass so viele Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen in meinem Stadtteil wohnen. Ich mag diese Vielfalt,  ich finde meinen  Hausarzt wunderbar, meinen Frauenarzt kompetent und hilfsbereit, ich mag unsere Lottofee und staune über den Verkäufer in Uncle Sam’s, dem kleinen Laden mit der großen Palette afrikanischer Spezialitäten. Ihre Wurzeln sind mazedonisch, türkisch, japanisch und polnisch. Möchte jemand zuordnen?

„Es gibt Orte, die sollte man früh verlassen, wenn man noch etwas vorhat im Leben“. sagt Heinz in Heinz Strunks Roman über meinen Stadtteil.  Der Autor Heinz, der übrigens gar nicht so heißt, hat sich das ja zu Herzen genommen und ist vor ein paar Jahren nach Winterhude gezogen. Ist auch passender für gut situierte ältere Mitbürger.

Ich dagegen denke, Beginner haben recht, nur eben anders als gedacht: Südlich von der Elbe, da sind die Leute nicht dasselbe. Zum Glück!