Wo sind die besonnenen Polizisten?

Man liest so viel von prügelnden, unterdrückenden und – wenn man ehrlich ist – komplett durchdrehenden Polizisten. Gibt es eigentlich auch noch den ruhigen Polizisten, der auch in einer angespannten Lage die Nerven behält? Sich also so verhält wie wir  – seine Brötchengeber, die Steuerzahler – es von ihm erwarten.

Seit vorgestern Abend kann ich sagen: Ja, es gibt sie und ich habe einen Einsatz von ihnen erlebt.

Was war geschehen: Ein Mitbewohner des Mehrparteienhauses in dem ich wohne hatte einen kleinen(grösseren) geistigen Aussetzer – anscheinend mit attestierter Vorgeschichte. Es begann, dass er in der Wohnung rumschrie und anschließend  Blumenkästen aus dem dritten Stock auf die Straße warf. Da auch eine sich verteidigende (?) Frauenstimme zu vernehmen war, war es eine Selbstverständlichkeit die Polizei zu alarmieren(was auch Nachbarn schon vor mir taten – das soziale Umfeld passt..). Innerhalb kürzester Zeit waren zwei Streifenwagen vor Ort und die Situation konnte eskalieren. Denn auf einmal kam wohl der Verdacht auf, der Herr um den es geht wäre bewaffnet. Also zogen sich die vor Ort befindlichen Einsatzkräfte der „normalen Polizei zurück. Sie sicherten das Treppenhaus sowie die unmittelbare Umgebung und bekamen noch einmal Verstärkung von weiteren Streifenwagen.

Parallel dazu wurde – aufgrund des Verdachts der Bewaffnung der Person – das MEK (mobiles Einsatzkommando) angefordert. Nach ca. 30 Minuten kamen dann auch sechs MEK-Beamte mit ihren Fahrzeugen vorgefahren. Nachdem sie sich in einer anderen Wohnung über den Grundriss des betreffenden Wohnung informiert hatten begann der eigentliche Einsatz vor Ort: Es wurde ca. 15 Minuten versucht den verwirrten Menschen zu beruhigen „Ich schicke meine Kollegen jetzt runter, dann sind wir beide allein und können uns mal ganz in Ruhe unterhalten“. Mit Engelszungen versuchte der MEK-Mann die betreffende Person dazu zu bewegen und die Tür zu öffnen und sich (mit erhobenen Armen..) zu stellen. Erst nachdem dies offensichtlich zu keinem Erfolg führte wurde die Tür aufgebrochen und mit Hilfe einer Blendgranate der Mann überwältigt (Krach-Zisch).

Weitere 10 Minten später war der – insgesamt ca. 2 Stunden dauernde – Einsatz beendet und es gab keine Randale, keinen Schusswaffeneinsatz und alles lief – für mich als außenstehenden Beobachter – quasi wie in einem Lehrbuch ab. Die einzige Wunde war die wieder aufplatzende Wunde eines bereits vergangenen Selbstmordversuchs des Randalierenden.

Danke an die Polizei Hamburg und auch an die Ausbilder, die es ermöglichen dass ich diesen Blogpost schreiben kann. Denn nicht alle Polizisten sind kleine Rambos. Es gibt sehr wohl noch besonnene Einsatzkräfte die das Vertrauen der Bürger verdient haben. Sicherlich gibt es Einsatzkräfte und -leiter die aufgrund ihrer Fehlverhalten aus dem Dienst geworfen gehören. Aber eben nicht alle!

Die Frage: „Wo sind die besonnenen Polizisten?“ kann also mit „Zumindest einige findet man in Hamburg“ beantwortet werden.

Vergessen scheint die größte Gefahr

Das Wetter war heute am Ostermontag prima, also machten die beste Ehefrau von allen und ich einen Ausflug. Aber wohin sollte es gehen? Mir fiel ein, dass ich so oft auf der A7 an der Gedenkstätte Bergen-Belsen vorbei gefahren bin und mir immer wieder vornahm: Wenn Du mal Zeit hast, biegst Du schlicht ab. Heute sind wir bewusst dort hingefahren.

Die Gedenkstätte liegt in der wunderschönen Lüneburger Heide, zwischen Celle und Fallingborstel. Von Hamburg aus locker innerhalb weniger als einer Stunde mit dem PKW zu erreichen.

Auf der Webseite der Gedenkstätte liest man:

„Die Gedenkstätte Bergen-Belsen ist heute ein Ort des Gedenkens, des Sammelns, Bewahrens und Forschens sowie ein Ort des Lernens und der Reflexion.“

genau dies ist passiert. Ich sammelte Gedanken, reflektierte und viele Gedankenströme und Erkenntnisse (welche bereits vorhanden waren) wurden wieder einmal überdeutlich. Der Philosoph Jorge Augustín Nicolás Ruiz de Santayana schrieb die wahren Worte:

„Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“

und wir müssen uns alle besinnen uns stets die Vergangenheit vor Augen zu führen um in der Gegenwart die schlimmen Dinge zu vermeiden. Sie schon in den Anfängen zu unterbinden. Gerade aus der deutschen Vergangenheit kann und muss man sehr viel lernen. Wir müssen begreifen, welch Elend Menschen angetan werden kann und dass unterdrückte und verfolgte Menschen Schutz benötigen. Tausende von Deutschen sind vor dem Naziregime geflohen, weil sie verfolgt wurden. Aus politischen, religiösen oder anderen Gründen. Wer die Flucht nicht schaffte, wurde bestenfalls misshandelt schlimmstenfalls getötet. In dem relativ kleinen Lager Bergen-Belsen, welches „nur“ ein Kriegsgefangenen- / Konzentrationslager und KEIN Vernichtungslager war, starben zwischen 1941 und 1945 über 17.000 Menschen. An Krankheiten und Hunger. Nicht weil sie dort vernichtet werden sollten. Jeder Tod war für das Regime ein kalkuliertes Übel, aber nicht der Sinn dieses Lagers. Zur gezielten Tötung wurden die betroffenen Gefangen von Bergen-Belsen nach Auschwitz gebracht.

Wer die Bilder des hervorragenden Dokumentationszentrum sieht, die Geschichten und  Erlebnisse liest, dem wird klar, dass gerade wir Deutschen jeden Flüchtling mit offenen Armen und Herzen aufnehmen müssen. Was für dumme Menschen wehren sich gegen Aufnahmelager von Flüchtlingen?

Andererseits – und das ist die zweite bittere Erkenntnis – müssen gerade wir Deutschen uns aufrecht dagegen wehren, dass Unrechtsstaaten möglich werden. Die Geschichte lehrt uns, wie perfide das Nazi-Regime die Bevölkerung manipulierte (Russen sind keine Menschen sondern Bolschewiki-Bestien genannt, damit wurden ihnen per se die Menschenrechte abgesprochen). Parallelen zu der Berichterstattung  einiger Medien aus der heutigen Zeit drängen sich geradezu auf. Auch die Kontrolle der Bürger („kauft nicht beim Juden“ – wer es dennoch tat bekam Probleme) ist etwas, dass wir weit von uns weisen sollten. Ich verstehe nicht wie deutsche(!) Politiker die Vorratsdatenspeicherung wünschen können? Sehen sie die potentiellen Gefahren nicht oder haben sie im Geschichtsunterricht geschlafen? Wie können deutsche Politiker zulassen, dass die Ordnungsmacht (Polizei) bei legitimen Demonstrationen eine Aura der Angst verbreitet, die dazu führt dass normale Bürger sich nicht mehr trauen auf einer Demo ihre Meinung kund zu tun – aus Angst ein Kollateralschaden krawallbereiter Polizisten zu werden?

Es wird Zeit, dass sich in unserem Lande etwas ändert. Vor allem in den Köpfen der Bürger und Bürgerinnen. Denn wenn WIR wach und aufmerksam sind, haben die Deppen in der Politik keine Chance – und alle Probleme können „von oben“ gelöst werden.

Demonstrationen, gestern und heute

Der Kreis schließt sich: Vor über 30 Jahren nahm ich das erste mal das dem Bürger via Grundgesetz Art. 8 zugesicherte Recht auf freie Meinungsäußerung wahr:

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

Nach einigen kleinen Demos (quasi als Einstimmung und zum üben) die komplett friedlich verliefen, kamen dann die Brokdorf-Demos. Wir wollten keine Atomkraftwerke vor der Haustür (und auch nicht woanders). Die Bezugsgruppe traf sich in Ralles WG und von dort reiste man gemeinsam nach Brokdorf – das lauschige Nest an der Unterelbe. Zehntausend Polizisten standen Hunderttausend Demonstranten gegenüber.

Ich erlebte das erste Mal völlig überzogene Gewalt von beiden Seiten. Auf der einen Seite waren es prügelnde Polizisten und Hubschrauber, die knapp über unsere Köpfe hinweg flogen nur um (Luft)Druck und Angst über uns auszuschütten. Aber es gab auch damals schon in unseren Reihen die All-Inkl-Demonstranten, deren Grund zur Teilnahme an der Demo schlicht der Spaß an Randale war. In kleinen Gruppen „versteckten“ Sie sich in der Maße der friedlichen Demonstranten, um mit nadelstichartigen Aktionen die Schergen der Staatsmacht zu provozieren. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass es diesem Personenkreis nicht um das Thema AKW-Nee ging, sondern dass es ein Schrei nach Aufmerksamkeit war. Die suchten nur den „Kick“ um sich zu profilieren.

Das Problem war: Genau diese, wenigen Erlebnisdemonstranten gaben der Staatsmacht die Legitimation uns friedliche Demonstranten einzuschüchtern und gewaltsam auseinander zu treiben. Schließlich sind aus unserer Gruppe (500-1000 Personen) Gewaltakte (von 5-10 Personen) gegen Polizisten begangen worden. Schon damals versuchten wir dem Sachthema zugewandten Demonstranten diese kleinen Gruppen von ihrem Vorgehen abzuhalten. Aber wir schafften es nicht – immer wieder flogen Steine, Flaschen etc..

Im Laufe der Jahre verschärfte sich das Gewaltpotential auf beiden Seiten. Die Eskalationsspirale wurde von beiden Seiten angefeuert. Ich persönlich kann nicht einer Seite allein die Schuld geben, kann nicht mit dem Finger auf eine Gruppe zeigen und erklären: IHR seid alleine schuld.

Ich beobachte die Demonstrationskultur seit vielen Jahren und  es gibt Demos auf die ich nicht für Geld und gute Worte gehen würde, eben WEIL davon auszugehen ist, dass diese gewaltbereiten Demonstrationshirsel (typischerweise in den besseren Stadtteilen wohnend!) dafür Sorge tragen werden, dass die Demo eskaliert. Sie können nicht anders, sie müssen der Staatsgewalt eine (wenn auch nur sehr dünne!) Argumentation für den Einsatz des Gewaltmonopols liefern.

Seit den gestrigen Demonstrationen in Hamburg hat sich in meinem Kopf noch wieder etwas geändert: Ich habe Angst. Echte, panische Angst. Nicht um mich selbst. Ich bin ein alter, erfahrener Sack geworden. Ich bin immer noch nicht (ohne Grund) gewaltbereit, habe aber schnelle Schuhe und mache die Biege bevor ich „von Amts wegen geduscht“ werde. Muss ich nicht haben. Aber gestern war meine Tochter auf der Demo. Eine Grund auf sie stolz zu sein: Ja Kleines, ich bin verdammt stolz auf dich! Sie steht auf, ist bereit für ihre Interessen auf die Strasse zu gehen. Ich aber saß Zuhause – bekam irgendwann einen Telefonanruf und meine Tochter erklärte mir, dass sie Angst hat. Sie war als das Duschen losging in der Schanze in ein Cafe  geflüchtet (was schon mal ziemlich schlau war), aber als der Besitzer den Anwesenden erklärte, sie sollen von den Fenstern weg gehen, denn es fliegen da draußen Steine, saß sie in der Falle. Meine Kleine hatte Panik. Sie wollte demonstrieren, wollte auf diverse Missstände hinweisen und befand sich hilflos und ohne Vorwarnung zwischen Steinewerfern und Polizeigewalt.

Als Vater möchte ich meine Tochter natürlich schützen, aber soll ich ihr verbieten auf Demos zu gehen? Never! Denn die freie Meinungsäußerung ist ein Pfeiler unserer Demokratie. Ich werde sie schulen. Werde sie lehren, wie man sich in welcher Situation am besten verhält. Und dennoch werde ich bei gewissen Demos schlicht Angst um sie haben. Angst weil es gewaltbereite Deppen auf beiden Seiten der Linie gibt. Deppen die seit Jahrzehnten stehts aufgefrischt werden und deren Gewaltbereitschaft stets erweitert weiter pervertiert.

Aber: Auf beiden Seiten gibt es auch Menschen, die keinen Bock auf Randale haben. Menschen die schlicht unsicher sind, wenn sie zum Veranstaltungsort fahren, sei es im Mannschaftstransporter oder im ÖPNV. Die aber vielleicht irgendwann schlicht durchdrehen und sich sagen: „Bevor die anderen mir aufs Maul hauen, haue ich lieber zuerst zu“. Und genau dazu darf es nicht kommen. Die Gemäßigten sollten es irgendwie schaffen die Oberhand zu behalten, denn Gewalt erzeugt immer Gegengewalt – egal welche Seite anfängt.