Die Zeit setzt sich – wieder einmal – mit der Piratenpartei auseinandern. In dem Artikel geht es auch um eine nicht gewollte Einordnung der Partei in das alte Schema Rechts<->Links. Warum man aber – laut Zeit – in dieses Schema passen muss, wird mit folgender Passage versucht zu erklären:
„Piraten“, so die Meinung von Nutzer „701“, „sollten keine Ideologie verfolgen“. Das ist zunächst einmal schlau, wenn man so viele Menschen wie nur möglich ansprechen will. Doch es entpuppt sich als ziemlich schwierig, wenn man Politik zu machen beabsichtigt.
Denn wie hätte man sich das vorzustellen? Im Gegenzug für die Mitarbeit an einem verbesserten Datenschutzgesetz verspricht die Piratenfraktion der CDU morgens ihre Stimmen in Sachen Atomkraftausbau, winkt mittags zusammen mit der FDP ein neues Steuersenkungsgesetz durch, kämpft nachmittags an der Seite der SPD-Genossen für den Mindestlohn und hängt abends ihr Fähnchen beim Kriegsmandat in den Wind der Mehrheit?
Abgesehen davon, dass man der CDU nicht bei der Atomenergiefrage helfen muss, um für ein verbessertes Datenschutzgesetz zu sein frage ich: Wo ist das Problem? Warum darf man die Probleme in unserem Land nicht sachbezogen und dediziert angehen? Hat nicht jedes Problem eine eigene Betrachtung verdient? Muss ich mich einer vorhandenen Partei unterwerfen, wenn ich politisch aktiv handeln möchte? Es ist genau dieses Schwarz/Weiss-Denken, dass uns soviele Probleme bereitet hat. Entweder dieses Paket oder jenes Paket.
Früher gab es diese wundervollen Kompaktanlagen. Rosita stand in fast allen „Mädchenzimmern“. Nicht lange denken, keine Gedanken an Details verschwnden: Kompaktanlage und gut. Ich habe diese Kompaktanlagen damals schon gehasst und hatte eigene Vorstellungen, welches Tapedeck, welchen Verstärker und welchen Plattenspieler ich haben wollte. An dieser Differenzierung hat sich bis heute nichts geändert. Aber kann ja nicht jeder auf die Details achten, gell liebe Zeit. Wird auch sonst zu kompliziert.
Ihr Piraten seid wirklich unschlagbarer – was die Naivität anbelangt. Um ein Gesetz zu verändern, muß man Mehrheiten hinter sich versammeln. Mit 5.1 % der Abgeaordneten kann man keine Gesetzesvorlage durchbringen. Für ihr Entgegenkommen wollen die anderen Parteien aber etwas. Wie schön, daß die Piraten zu den meisten Punkten eh keine dezidierte Meinung haben. Kann man ihnen wenigstens keinen Verrat der Ideale vorwerfen, wenn sie alles und jedes durchwinken.
Im übrigen bin ich schon gespannt, was passiert, wenn die-keine-Patente-auf-Lebewesen-Piraten das erste mal mit Gentechlobbyisten zusammentreffen, die ihnen entweder Bestechung oder eine Hetzkampagne in den Medien in Aussicht stellen. Ich tippe auf das hier.
@tschill:
Erstmal danke für die Einschätzung von Naivität. Darauf möchte ich direkt eingehen, denn das Beispiel in Sachen „Gesetze machen“ stammt nicht von mir (einem bekennenden Piraten) sondern von Kai Biermann und Tina Klopp, welche den Artikel in der Zeit geschrieben haben. Ich habe deren Gedanken nur interpretiert. Was also daran naiv ist, bitte ich dich zu erklären.
Dass ich gespannt bin, wie in der nächsten Legislaturperiode entweder die FDP oder die SPD (vielleicht auch hier und da die CDU) von ihren Wahlversprechen abrücken, brauche ich nicht zu erwähnen, oder?
Sorry, ich bin ein Prinzipienmensch (der aber nicht gegen besseres Wissen ankämpft!) und verurteile deshalb auch das Verhalten der Grünen, die erklären „Mit uns wird es Moorburg nicht geben“ um anschliessend doch zu unterschreiben. Man kann eine Koalition auch auflösen. Dazu gehört Arsch in der Hose. Ob die Piraten diesen Arsch haben, wird sich zeigen. DAS kann keiner von uns jetzt schon beurteilen. Insofern ist deine Aussage erstmal eine Unterstellung.
Es ist mir vollkommen bewußt, daß die Koalitionspraxis von Die Zeit thematisiert wird. Einer muß es ja tun, wenn von den Piraten Statements kommen wie *Wir koalieren mit jedem, der unsere Themen durchsetzt*. WTF?
Welchen anderen Grund gäbe es außerdem, sich als Partei für die Bundestagswahl aufzustellen? Freundlich in der Ecke sitzen und in die Kamera winken, wenn es um digitale Bürgerrechte geht? Mit 5.1 % der Stimmen eine Sperrminorität gegen Ursula von der Schäuble aufbauen?
Bei CDUSPDFDP gibt es keine Frage, daß sie ein autarkes, selbstperpetuierendes politisches System darstellen, das nur marginal an die Realität (und dies vorrangig über Lobbyismus) gekoppelt ist. Und da muß ich mir bei Die Piraten auch gar keine Sorgen machen, wegen meiner Unterstellung – die Grünen haben im Laufe der Koalitionsverhandlungen ihre Antikriegshaltung aufgegeben, Die Linke in Berlin ihre Idee einer sozialen Umverteilung. Warum? Weil man in der Politik Mehrheiten haben muß. Hat man die nicht, weil 75% der Leute gewohnheitsmäßig CDUSPDFDP wählen, dann kann man seine Ideen nicht durchsetzen. Ohne Rückhalt in der Bevölkerung ist man in der Apo eh besser aufgehoben, weil man ansonsten vom politischen System assimiliert wird.
Im übrigen kann man bei mir nachlesen, daß ich die Piraten gewählt habe – mir geht jedoch die Blauäugigkeit bis Blödheit der Piratenbasis auf den Zeiger, die denken, mit Überspringen der 5% Hürde hätte man einen parlamentarischen Hebel, der plötzlich magisch die digitalen Bürgerrechte sichert und die Urheberrechtsproblematik aus der Welt schafft. Das Gegenteil ist der Fall, die Probleme fangen dann erst an. Nicht zu vergessen, daß die Ichichich-Mentalität der meisten Piraten eines Menschen unwürdig ist. Da hat Kohls geistig-moralische Wende wirklich ganze Arbeit in der jungen Generation geleistet.
Aber das wahrscheinlichste Szenario ist derzeit eh, daß die Zentrifugalkräfte die Partei sprengen und deren uneinheitliche Wählerschaft auf die etablierten Parteien verteilt.
@tschill:
Ich kann nicht für „Die Piraten“ sprechen – bin ja nicht der „Obermufti“ 🙂 Ich kann nur für für mich selbst sprechen.
Und ich – jaja, ich fieser Mensch – würde mir eher ein Ergebniss von 4,9 als 5,0% wünschen (illusorisch ist beides ….). Gerade weil die Piraten noch deutlich Zeit brauchen um die Ereignisse der letzten Monate zu verarbeiten, bevor man – neu aufgestellt – wirksam aktiv arbeiten kann. Was nicht heissen soll, dass man jetzt nur abwarten soll. Es muss weiter aktiv gearbeitet werden. Intern wie auch extern. Viele neune Eindrücke müssen verarbeitet und Befindlichkeiten neu geprüft und bewertet werden.
Abgesehen von den „Problemen des Erfolges und des Wachstums“: Die Arbeit der Piraten INNERHALB des Parlamentes könnte z.B. erstmal sein, über Anfragen die Arbeit der Regierenden transparenter zu gestalten. Das man mit nur 5% als Koalitionspartner ins Boot kommt ist doch sehr gewagt.
Und als „Zünglein an der Waage“ kann man ja hier und dort auch noch ein bisschen wirksam sein. Man hätte Redezeit, eine ganz andere Form der öffentlichen Wahrnehmung etc. pp.