Der Selbstbedienungsladen für Unternehmer, den der ehemalige Gesundheitsminister und jetziger Wirtschaftsminister und FDP-Parteivorsitzende Rösler kreierte soll erste Früchte abwerfen:
Künftig sollen Arbeitslosen- und Rentenversicherung als Träger der Rehabilitation anstelle des Bundes die Rentenbeiträge der Behinderten in Werkstätten übernehmen. Der Sparbeitrag summiert sich auf rund 155 Millionen Euro im Jahr. Hinzu kommen auf einen Schlag mehr als 500 Millionen Euro, weil die neue Regelung nach dem Willen von der Leyens für drei Jahre rückwirkend gelten soll. Die Kosten der Altersvorsorge der Behinderten in Werkstätten sollen in Zukunft die Beitragszahler tragen. Die Sozialversicherer laufen daher Sturm gegen das Vorhaben der Ministerin, das am kommenden Mittwoch im Kabinett beschlossen werden soll.
Quelle: FAZ. Auch wenn der FAZ zu entnehmen ist, dass auch die Arbeitgeber Sturm laufen, so bleibt festzustellen, dass der Bund sich immer mehr zu einem Selbstbedienungsladen entwickelt.
Nur weil dem Bund Geld fehlt, sollen nun Kosten auf eine kleinere Anzahl von Schultern verteilt werden. Denn nach von der Leyens Ansinnen werden in Zukunft nur die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und nicht etwa von der Sozialversicherungspflicht befreite „Verdiener“ die Kosten zu tragen haben. Auch darf man nicht vergessen, dass im Falle einer Kostenfalle bei den Krankenversicherung, der einzelne Arbeitnehmer mittels frei zu vergebenen Eigenanteils alleinig den Mehraufwand zu tragen hat. Schliesslich ist der Solidarpakt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (beide teilten sich die Kosten 50/50) durch die asoziale „Reform“ des Philipp Rösler aufgekündigt.
Wenn das Geld bei mir irgendwann knapp wird, werde ich meine Stromkosten einfach meinem Vermieter aufbürden.
Jens Berger hat das Thema gut lesbar zusammengefasst: http://www.nachdenkseiten.de/?p=9543
Die Frage, auf die ich bisher keine wenigstens halbwegs plausible Antwort gefunden habe, laute: Warum?
Verstehst du, Herr Koepke, was die massive Umverteilung von unten nach oben, die wir seit Jahren erleben, langfristig bezwecken soll? Sarah Wagenknecht – man mag sie mögen oder nicht, aber auf den Kopf ist sie sicherlich nicht gefallen – hat zuletzt bei Menschen bei Maischberger vorgerechnet, dass in dem Maße, in dem die Staatsschulden angewachsen sind, die privaten Vermögen angewachsen seien. Warum?
Welchen Zweck dient diese neokonservative Ideologie, die auf Monopole, verkrustete Großkonzerne – Bertelsmann, Axel Springer, Metro Group, Energieriesen – und die Verarmung der breiten Schicht der Bevölkerung setzt? Will man der weltweiten Überbevölkerung aktiv entgegenwirken? Es muss doch dem dümmsten aller dummen FDP-Wähler auffallen, dass dieses System zutiefst undemokratisch und menschenverachtend und das genaue Gegenteil von liberal ist.
Die Frage ist also, warum wird spätestens seit Gerhard Schröder und Joschka Fischer dieses System verschärft und vorangetrieben? Hast du darauf eine gute Antwort, Herr Koepke?
@Tharben:
Das „warum“ könnte einfach sein, wenn man die persönliche Gier als Antriebsmotor betrachtet. Das Streben nach „mehr“, welches uns Menschen innewohnt und welches auch den Kapitalismus ausmacht: Stetes Wachstum.
Da monetäres Wachstum aber – aufgrund des statischen Wertes „Besitz“ – zwangsläufig (zumindest weitestgehend, und wenn man „Geldentwertung“ ausklammert) mit Umverteilung einhergeht, führt es dazu, dass die „Wachsenden“ den „Habenden“ nehmen.
Vergleiche unser monetäres System mit dem Tauschsystem der Urmenschen, die gerade anfingen sesshaft zu werden, weil Sie anfingen Ackerbau zu betreiben. Oder schau zu den Naturvölkern, die den Zwänge der Zivilisation noch nicht unterworfen wurden. Dort wurde und wird geteilt. Es gibt kein Arm und Reich. Das Kollektiv funktioniert, denn alles erwirtschaftete stet allen Menschen zur Verfügung.
Erst durch die „Zivilisation“ schaffte der Mensch die Kaste der Habenden, welche die Arbeitenden(nicht habenden) einsetzte um diese für sich arbeiten zu lassen.
In meiner Theorie befinden wir uns derzeit in einer Phase, in der die Habenden sehr wohl wissen, dass der Status Quo nicht unendlich haltbar ist. Deshalb werden Überwachung und Innere Sicherheit mit sehr viel Engagement vorangetrieben.
Ich schätze dass auch die Revolutionen in Südafrika ein Teil dieser Veränderung sind. Die alten Herrscher wurden weitgehend durch die westliche Welt gestützt – weil sie käuflich waren und den Interessen „unserer“ Wirtschaft dienten.
Die Wirtschaftsmächtigen schauen auf ihre Pfründe, sei es bei der Aushöhlung des Sozialstaates oder bei dem Raubbau der Natur.
@reizzentrum:
Schon, aber frage mich eher, was der Antrieb des Einzelnen derer ist, die dieses System aktiv gestalten können. Klar, wann immer es geht mache ich brav mein Kreuzchen, empöre mich regelmäßig und gehe auch mal auf eine Demo.
Aber weshalb wird denn der Sozialstaat vom Gesetzgeber ausgehöhlt? MdBs lesen doch bestimmt wenigstens die eine oder andere Zeitung. Es genügt kurzes Nachdenken, um zu dem Schluss zu kommen, dass dieses System nicht länger trägt. Dafür muss man nicht einmal besonders klug sein. Mir fällt es doch auch auf.
Was motiviert also diejenigen, die es wirklich in der Hand haben? Die Aussicht auf persönlichen Profit? Parteikarriere? Danach in die Wirtschaft? Villa, Yacht und kühle Drinks an der Cote d’Azur? Die Kinder und damit Erben bis in alle Ewigkeit abgesichert? In einem Wort: Käuflichkeit? Wird deswegen unser aller Zukunft verramscht? Also das will mir einfach nicht in den Kopf gehen. Das kann doch nicht das Motiv sein.
@Tharben:
Doch, ich fürchte deine Aufzählung – auch wenn sie sicherlich nicht vollständig ist – trifft den Kern der Wahrheit.
Aber es gibt auch „Besitzende“, die sehr wohl sozial eingestellt sind. Aber eben dadurch schaffen sie es nicht „ganz“ mächtig zu werden und werden ebenso von den Geldgierigen dieser Welt unterdrückt.
Ich erinnere mich immer konkreter an die Vorzeit der französischen Revolution. Dort war auch der grosse Klassenunterschied der Auslöser. Und Bismarck hat damals die Sozialgesetze auf den Weg gebracht, um eine soziale Ruhe zu gewinnen. Diese soziale Teilhabe wird aber durch immer strengere „Kontrolle der Massen“ abgelöst.
All dies ist meine Sichtweise/Interpretation der Dinge die seit langem schon um uns herum vorgehen: Den Reichen wird es leichter gemacht den Reichtum zu mehren und im „unteren Einkommensbereich“ werden die Daumenschrauben angezogen.
@reizzentrum:
Vorwerg: ich will dir sicherlich nicht auf den Sack gehen, mir erscheint der Erklärungsansatz nur nicht befriedigend.
Der Kern ist also, dass jeder seinen Profit zu mehren sucht, so ziemlich um jeden Preis. Beispielsweise der Abgeordnete weiß, dass, wenn er diesem oder jenem Gesetzentwurf zustimmt, die Bevölkerung zwar darunter leiden wird, aber er erkauft sich damit ein besseres Standing in der Partei. Das führt zu Pöstchen und dicker Pension.
Das ist es? Und die Info, dass es genau diese Gewissenlosgikeit ist, die uns in den Abgrund stürzt, hat sich nur noch nicht herumgesprochen? Ich weiß nicht so recht. Das klingt zu simpel.
Der Gesetzgeber auf Landes-, Bundes- und Europaebene hat das Schicksal der Menschen in der Hand. Und für ein paar Kröten werden wir verkauft? Da muss es doch einen ideologischen Unterbau geben. So etwas wie den Leitspurch der Westerwelle/Rösler-FDP: Wenn wir die Gesellschaft nur genug Entsolidarisieren und jeder nur noch an sich selber denkt, ist an alle gedacht.
Aber dass dieses System kollabiert, ist doch für jeden offensichtlich. Wer will denn noch ernsthaft leugnen, dass diese Ideologie versagt hat? Deswegen verstehe ich es nicht.
Aber wie gesagt: ich will den Bogen nicht überspannen und bedanke mich für den Gedankenaustausch.
Wissen, wissen tue ich dies natürlich nicht. Wir beide können nur spekulieren – und sollte ein Soziologe zu dem Ergebnis kommen, dass ich richtig liege, würden betsimmt 20 (bezahlte?) Soziologen diese These wiederlegen. 🙂
Aber tröste dich: Ich diskutiere gern. Du bist also willkommen.