In der FTD lese ich gerade mit leichtem Entsetzen:
Ein kleines Segment des Büromarkts stemmt sich gegen die Krise: In Westeuropa und Nordamerika steigt die Zahl der Callcenter und damit der Flächenbedarf dieser Spezialimmobilien.
Allein in der Bundesrepublik ist die Zahl der Beschäftigten dieser Branche nach Angaben des Call Center Forums Deutschland seit 2005 um 25,7 Prozent auf 440.000 gestiegen
Ganz ehrlich: Diese Entwicklung halte ich für kontraproduktiv. Jemand wie ich geht mit den Telefonhyänen hart um, meine Prinzessin war regelrecht erschrocken, als sie das erste mal anwesend sein „musste“, als ich von einem „Ich verkaufe dir dein Glück am Telefon“-Anrufer wahrlich genervt wurde. Diese Parasiten des Wirtschaftsleben gehen mir seit ca. 15 Jahren auf den Wecker.
Zuerst kamen diese wundervollen Geschäftsideen, tolle Renditen. Wobei sich einem unwillkürlich die Frage stellt, warum der Ideeninhaber sich nicht einfach ein paar Hunderttausend Euro von der Bank leiht um selbst reich zu werden, WENN seine Idee doch sooo sicher ist.
Mittlerweile sind es – zumindest bei mir – hauptsächlich Anrufe meines Mobil- oder Festnetzanschlussanbieters (zumindest geben sich die Anrufer als solche aus). Eines haben all diese Anrufer gemeinsam, egal was sie einem Privat oder geschäflich verkaufen wollen: Sie unterdrücken ihre Rufnummer. Was dazu führt, dass allein ein eingehendes Gespräch mit Rufnummerunterdrückung meinen Puls steigen lässt.
Die Penetranz der Callcenter gipfelt in Erlebnissen, wie es meine Eltern machen mussten: Von morgens bis Abends klingelte dort im 20-Minuten-Takt das Telefon. Ausschliesslich mit unterdrückter Rufnummer. Dies führte dazu, dass man sich schon Sorgen um seine „alten Herrn“ machte, da sie – aus verständlichen Gründen – das Klingeln des Telefons gänzlich ignorierten.
Mal ganz ehrlich: Wie dumm muss ein Unternehmen sein, dass immer noch der Meinung ist, mittels Telefonspammer seinen Umsatz erhöhen zu können. Ich bin der Meinung, dass Produkte, welche mittels Telefonaquise beworben werden, einen so grossen Reputationsverlust erleiden, dass dies niemals durch den Mehrvertrieb durch Telefondrücker aufgewogen werden kann.
Frage am Rande: Was ist so speziell an diesen Immobilien? Müssen die besonders gesichert sein, weil sie sonst vom Mob und Pöbel gestürmt werden?
Mehr zum allgemeine Infromationen zu den Arbeitsbedingungen in Callcentern findet findet man in dem Zeit-Artikel über die Arbeit von Günter Wallraff
Dreist sind aber auch die Hausierer mit T-Uniform, mit der sie vornehmlich älteren Herrschaften Respekt abzunötigen versuchen, mit fadenscheinigen Ansagen wie „wir haben doch kürzlich die Preise gesenkt und würden gerne auf ihrer Telefonrechnung nachschauen, ob das geklappt hat“. Das Schlimme an der Geschichte: Ich hatte so ein Team neulich hier, habe ihnen mit den Worten „netter Versuch“ (den Zusatz „…,Guybrush!“ hab‘ ich mir diesmal gespart) die Tür vor der Nase zugemacht und bei Freund&Helfers angerufen. Die kamen dann auch und haben die Uniformierten kontrolliert, konnten aber nichtmal was machen, weil die sich tatsächlich auf irgendeine Weise legitimieren konnten. Seufz.
@Jörg:
Tja Jörg, das ist die andere Reinkarnation der Blutsauger. Obwohl man ganz sicher noch andere Mutationen finden wird – bis hin zu den Bankern, aber um die soll es hier ja mal ausnahmsweise nicht gehen. Diese Türgeschäftgeschichte erinnert mich an Vorwerk. Das muss ich auch unbedingt nochmal verbloggen. Gib mir mehr Zeit!
Guybrush! Welch wundervolle Erinnerungen werden wach: „Polly will Cracker“…..
Ich halte den Artikel für etwas vereinfachend.
Callcenter heißt nicht automatisch (illegaler) Werbeanruf. Das Wachstum der Branche lässt sich erklären: Immer mehr größere Unternehmen lassen ihre eingehenden Anrufe erst einmal auf ein Callcenter irgendwo in Deutschland umleiten, wo sie vorsortiert und dann entweder sofort erledigt oder in die entsprechende Abteilung weitergeleitet werden. Das ist einer der so genannten Wachstumsmärkte, so genannt darum, weil die Arbeit vorher in den entsprechenden Unternehmen geleistet wurde. Mehr Arbeitsplätze sind dadurch nicht entstanden, es ist für die Unternehmen nur billiger geworden. Das Gleiche gilt für oft zeitlich begrenzte Marketingaktionen unter Bestandskunden, zum Beispiel bei Energieversorgern oder Verkehrsbetrieben. Das macht kein Unternehmen mehr selbst. Für die Kunden ist es u. U. nicht schlecht, die Informationen zu bekommen, und im Gegensatz zum Brief können aufkommende Fragen gleich beantwortet werden.
Und dann gibt es natürlich noch die Markt- und Meinungsforschung. Das sind die, die mit unterdrückter Rufnummer anrufen dürfen. Und dagegen kann man wohl schlecht etwas haben, wenn man z. B. Tagesthemen oder Sonntagsumfrage guckt und dort die Fragen beantwortet kriegt, was wäre, wenn am Sonntag Wahlen wären. Oder wenn ein Verkehrsunternehmen herauszufinden versucht, was die Leute davon halten, wenn eine bestimmte Buslinie nur noch stündlich statt wie bisher halbstündlich fährt. Da ist eine Telefonumfrage sinnvoll und legitim.
Ein solides Marktforschungsunternehmen erkennt man daran, dass der Anrufer den Namen des Instituts und des Auftraggebers benennen und auch jeweils eine Rufnummer zur Rückfrage angeben kann und präzise Angaben zu Herkunft, Umfang und Verarbeitung der vorhandenen Daten machen kann und, ganz wichtig, einen nicht unter Druck setzt. Die Teilnahme an Umfragen ist stets freiwillig. Wie man das als Angerufener ausdrückt, ist dann eine Frage der Höflichkeit.
Wenn die Anrufe z. B. von der Telefongesellschaft überhandnehmen, kann man erklären, in Zukunft nicht mehr angerufen werden zu wollen. Wenn ein Unternehmen sich nicht daran hält, ist es Zeit, sich nach einem neuen Anbieter umzusehen.
Noch ein Extrembeispiel für Outsourcing in der Callcenterbranche: Vor einiger Zeit habe ich einen Fernsehbeitrag gesehen, wo über ein Callcenter in, wenn ich mich recht erinnere, Hongkong berichtet wurde, das die Bestellungen für Pizzadienste in den USA annimmt. Kostenersparnis: ca. 80%. Die Pizzen sind dadurch nicht billiger geworden, jedenfalls nicht für den Kunden.
@carluv:
Es ist schön, dass Du die Kostenersparnis ins Spiel bringst. Denn ein nicht unmassgeblicher Teil der Kostenersparnis liegt auch darin, dass in den ursächlichen Firmen (besserbezahlte) Jobs abgebaut werden können um in den Callcentern dann unqualifizierte (knapper bezahlte) Jobs zu kreieren.
Und ja, ich habe etwas gegen Marktforschungsunternehmen, die mich um 20:30 in meiner PRIVATwohnung anrufen – natürlich mit Rufnummerunterdrückung – deren Angaben zu Auftraggeber ich nicht nachvollziehen kann. Was spricht denn dagegen, dass ich mich als z.B. Vodafone ausgebe und durch die Art meines Auftretens Vodafone diskreditiere. ICH möchte gern wissen mit wem ich kommuniziere. Jede Art von Anonymität birgt die Gefahr des Missbrauchs und gerade in Bereichen in denen Geld verdient wird, wird jede Möglichkeit zum „übervorteilen“ nur zu gern genutzt.
Die übermittelte Rufnr. ist manipulierbar. Wer sich durch eine übermittelte Rufnummer sicherer fühlt, fühlt sich nur so.
Um 20:30 nehme ich auch an keiner Umfrage mehr teil, weiß aber, dass manche, auch solide Unternehmen wie Emnid bis 21:00 befragen. Aber: Wo sonst als in der Privatwohnung sollen sie denn anrufen? Auf Arbeit?
@carluv:
Sie sollen meine Privatsphere respektieren und mich überhaupt nicht anrufen. Es sein denn, ich hätte sie persönlich dazu berechtigt.
Zeitweise hab ichs so gemacht, dass ich bei Rufnummerunterdrückung einfach nicht mehr ans Telefon gegangen bin..
@Andreas:
Leider habe ich ein paar Menschen im Bekanntenkreis, die ausschliesslich mit Rufnummerunterdrückung arbeiten. Generell ist dies aber sehr gut umsetztbar. Am besten die TK-Anlage so programmieren, dass diese Calls in eine endlose Warteschleife gelegt werden 🙂