Demonstrationen, gestern und heute

Der Kreis schließt sich: Vor über 30 Jahren nahm ich das erste mal das dem Bürger via Grundgesetz Art. 8 zugesicherte Recht auf freie Meinungsäußerung wahr:

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

Nach einigen kleinen Demos (quasi als Einstimmung und zum üben) die komplett friedlich verliefen, kamen dann die Brokdorf-Demos. Wir wollten keine Atomkraftwerke vor der Haustür (und auch nicht woanders). Die Bezugsgruppe traf sich in Ralles WG und von dort reiste man gemeinsam nach Brokdorf – das lauschige Nest an der Unterelbe. Zehntausend Polizisten standen Hunderttausend Demonstranten gegenüber.

Ich erlebte das erste Mal völlig überzogene Gewalt von beiden Seiten. Auf der einen Seite waren es prügelnde Polizisten und Hubschrauber, die knapp über unsere Köpfe hinweg flogen nur um (Luft)Druck und Angst über uns auszuschütten. Aber es gab auch damals schon in unseren Reihen die All-Inkl-Demonstranten, deren Grund zur Teilnahme an der Demo schlicht der Spaß an Randale war. In kleinen Gruppen „versteckten“ Sie sich in der Maße der friedlichen Demonstranten, um mit nadelstichartigen Aktionen die Schergen der Staatsmacht zu provozieren. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass es diesem Personenkreis nicht um das Thema AKW-Nee ging, sondern dass es ein Schrei nach Aufmerksamkeit war. Die suchten nur den „Kick“ um sich zu profilieren.

Das Problem war: Genau diese, wenigen Erlebnisdemonstranten gaben der Staatsmacht die Legitimation uns friedliche Demonstranten einzuschüchtern und gewaltsam auseinander zu treiben. Schließlich sind aus unserer Gruppe (500-1000 Personen) Gewaltakte (von 5-10 Personen) gegen Polizisten begangen worden. Schon damals versuchten wir dem Sachthema zugewandten Demonstranten diese kleinen Gruppen von ihrem Vorgehen abzuhalten. Aber wir schafften es nicht – immer wieder flogen Steine, Flaschen etc..

Im Laufe der Jahre verschärfte sich das Gewaltpotential auf beiden Seiten. Die Eskalationsspirale wurde von beiden Seiten angefeuert. Ich persönlich kann nicht einer Seite allein die Schuld geben, kann nicht mit dem Finger auf eine Gruppe zeigen und erklären: IHR seid alleine schuld.

Ich beobachte die Demonstrationskultur seit vielen Jahren und  es gibt Demos auf die ich nicht für Geld und gute Worte gehen würde, eben WEIL davon auszugehen ist, dass diese gewaltbereiten Demonstrationshirsel (typischerweise in den besseren Stadtteilen wohnend!) dafür Sorge tragen werden, dass die Demo eskaliert. Sie können nicht anders, sie müssen der Staatsgewalt eine (wenn auch nur sehr dünne!) Argumentation für den Einsatz des Gewaltmonopols liefern.

Seit den gestrigen Demonstrationen in Hamburg hat sich in meinem Kopf noch wieder etwas geändert: Ich habe Angst. Echte, panische Angst. Nicht um mich selbst. Ich bin ein alter, erfahrener Sack geworden. Ich bin immer noch nicht (ohne Grund) gewaltbereit, habe aber schnelle Schuhe und mache die Biege bevor ich „von Amts wegen geduscht“ werde. Muss ich nicht haben. Aber gestern war meine Tochter auf der Demo. Eine Grund auf sie stolz zu sein: Ja Kleines, ich bin verdammt stolz auf dich! Sie steht auf, ist bereit für ihre Interessen auf die Strasse zu gehen. Ich aber saß Zuhause – bekam irgendwann einen Telefonanruf und meine Tochter erklärte mir, dass sie Angst hat. Sie war als das Duschen losging in der Schanze in ein Cafe  geflüchtet (was schon mal ziemlich schlau war), aber als der Besitzer den Anwesenden erklärte, sie sollen von den Fenstern weg gehen, denn es fliegen da draußen Steine, saß sie in der Falle. Meine Kleine hatte Panik. Sie wollte demonstrieren, wollte auf diverse Missstände hinweisen und befand sich hilflos und ohne Vorwarnung zwischen Steinewerfern und Polizeigewalt.

Als Vater möchte ich meine Tochter natürlich schützen, aber soll ich ihr verbieten auf Demos zu gehen? Never! Denn die freie Meinungsäußerung ist ein Pfeiler unserer Demokratie. Ich werde sie schulen. Werde sie lehren, wie man sich in welcher Situation am besten verhält. Und dennoch werde ich bei gewissen Demos schlicht Angst um sie haben. Angst weil es gewaltbereite Deppen auf beiden Seiten der Linie gibt. Deppen die seit Jahrzehnten stehts aufgefrischt werden und deren Gewaltbereitschaft stets erweitert weiter pervertiert.

Aber: Auf beiden Seiten gibt es auch Menschen, die keinen Bock auf Randale haben. Menschen die schlicht unsicher sind, wenn sie zum Veranstaltungsort fahren, sei es im Mannschaftstransporter oder im ÖPNV. Die aber vielleicht irgendwann schlicht durchdrehen und sich sagen: „Bevor die anderen mir aufs Maul hauen, haue ich lieber zuerst zu“. Und genau dazu darf es nicht kommen. Die Gemäßigten sollten es irgendwie schaffen die Oberhand zu behalten, denn Gewalt erzeugt immer Gegengewalt – egal welche Seite anfängt.

11 Gedanken zu „Demonstrationen, gestern und heute

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  3. Es gab schon immer Randalierer, Agent Provocateur und Dumpfbacken jedweder Coleur.
    Aber trotzdem wird in absehbarer Zeit mit Demonstrationen nichts mehr zu auszurichten sein.
    Die Kriminalisierung wird weiter fortschreiten und die Demos werden nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
    Die Radikalisierung und Beeinflussung der Massen durch die gleich geschalteten Medien gegen jede Art von Widerstand (Demonstrant ist gleich Terrorist) hat enorm zugenommen, so das die Polarisierung beider Lager unausweichlich und letztendlich auch entweder zur einer Diktatur oder eben zu einer waschechten Revolution oder zumindest zu Bürgerkriegs ähnlichen Zuständen führen wird.

    • @Publicviewer:

      Ich sehe das etwas anders: Ich war – auch in jüngster Zeit – auf einigen Demos, über welche positiv in den Medien berichtet wurde und das Thema der Demo auch in den Medien platziert wurde. Dies gelang aber nur, weil die Veranstalter der Demos etwaig anwesende „schwarze Hirsel“ sofort unter verschärfte Beobachtung stellten und diese Beobachter sofort eingeschritten sind, wenn nur versucht wurde ein Böller aus dem Rucksack zu holen.

      Wenn es keine Gewalt aus den Reihen der Demonstranten kommt, gibt es darüber auch nicht zu berichten. Und WENN die Staatsgewalt dann durchdrehen sollte – und von den Demonstranten niemand Steine wirft oder Barrikaden baut und anzündet, gibt es eben auch keine diesbezüglichen Bilder.

      Sicher gibt(GAB!) es auch Provokateure – nur werden diese heutzutage nicht mehr benötigt, weil die schwarz gekleideten, depperten Spasstrupps meist in ausreichender Zahl vor Ort sind.

      • Ich denke das in Zukunft, ähnlich wie bei Blockupy in Frankfurt, das ganz gezielt die Leute eingekesselt werden, Demos gar nicht erst richtig in Marsch kommen, das Versammlungsrecht eingeschränkt und zunehmend kriminalisiert wird.
        In Spanien ist schon jetzt das Versammlungsrecht mit Kosten verbunden,
        Unangemeldete Versammlungen oder Demos, wird es kaum noch geben.
        Wir können den Kampf gar nicht gewinnen solange die Linke derartig zerstritten ist.
        Die Rechten sind weitaus besser organisiert…leider…:-)
        Und ganz ohne Gewalt wird es im Kampf gegen die herrschende Klasse sollten wir auch nur die geringste Chance haben sowieso nicht gehen…
        Hier geht es nicht um die Berliner Mauer, sondern darum den Neoliberalismus und Superkapitalismus nieder zu ringen.

        • @Publicviewer:

          Es kann nur gewaltlos etwas werden, denn Gewalt legitimiert Gegengewalt. Das fing schon in den 60ern an und hat sich immer weiter aufgeschaukelt. Da der Staat die Spirale der Gewalt nicht beenden wird (und es auch gar nicht darf!) muss dies auf Seite der Demonstranten geschehen. Jede Demo von der Gewalt ausgeht, wird die Aufrüstung auf der anderen Seite, Restriktionen und vor allem das Bild der negative Öffentlichkeit erweitern.

          Es gibt jetzt schon Demos auf die ich nicht gehe, weil ich weiss, dass dort die Spinner in der Überzahl sind und ich mir wegen diesen Nasen keine Dusche (inkl. CS/Tränengas) oder gar Prügel verpassen lasse.

          • Denkst Du wirklich das die herrschende Klasse sich auch nur einen Millimeter von ihrem Kurs abweichen wird, wenn wir nicht eine echte Revolution machen?
            Das ist ja schon lange ein weltweites Problem.
            Sicher muss viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, aber wenn das nicht sehr bald geschieht werden wir eine Plutokratie oder eben ein Diktatur bekommen.
            Schau einfach mal, was in den Staaten passiert…

            • @Publicviewer:

              Meinst Du diese „echte Recolution“ http://www.nordkurier.de/polizeiticker/reisezug-der-bahn-demoliert-233943812.html

              Blinde Zerstörungswut, die nur für schlechte Presse sorgt und die Akzeptanz der „Interessenvertreter“ noch weiter von der Menge der Bevölkerung entfernt?

              Ich bin und bleibe ein Freund des Grundgesetzes – DIESES gilt es (und dies ist sogar im GG legitimiert) zu verteidigen. Wenn Steinewerfer ihren Treffpunkt verteidigen, geht mir das am Arsch vorbei. Wenn allerdings friedliche junge Menschen ein Kulturzentrum erhalten wollen, gehe ich dafür auch auf die Strasse – aber friedlich!

              • Sicher meinte ich nicht die Zerstörung eines Eisenbahnzuges oder die Demolierung einer Telephonzelle…;-)
                Ich rede von gezielten Aktionen und Zersetzung des Staatsapperates, oder wenigstens so etwas hier: Passiver Widerstand, ein paar Gedanken dazu.
                Die Grundnahrungsmittel in der Umgebung kaufen, achtet auf „Faire Trade“, wie zum Beispiel bei der Teekampagne, in Berlin.
                Kauft keine neuen Autos mehr, denn die alten sind meist viel billiger. Das ist mein Spezialgebiet, ihr könnt mir glauben, dass die neuen Autos allesamt eine Hightech-Wegwerf-Ware darstellen.
                Glaubt nicht an den Quatsch von Abgasnormen, niedrigeren Co2 Ausstoß.
                Das ist wie mit der Feinstaubplakette und vielen Anderem auch, eine absolute Verarschung.
                Breitbandbildschirme, Handys, PC´s auch mal ein paar Jahre länger benutzen, viele technische Geräte braucht sowieso kein Mensch.
                Erteilt dem Konsum eine klare Absage, kauft keine „Apple“ Produkte mehr und kauft nicht bei Amazon, keine Markenklamotten, tankt kein E10 und spendet nicht an den WWF!!!(Der Pakt mit dem Panda anschauen).
                Reden, Diskutieren, Stellung beziehen….informiert euch….Und sucht nicht mehr mit „GOOGLE“ sondern z.B. mit „IXQUICK“ und stellt euer Betriebssystem endlich auf “LINUX” um.
                Keine Aktien und Börsenspekulationen, nehmt nicht vorschnell Kredite auf, am besten ihr verzichtet ganz darauf.
                Vergesst nicht, dass unser gesamtes System auf Kredite und unbegrenztes Wachstum aufgebaut ist.
                Treibt wieder Tauschhandel wenn irgend möglich.
                Das gleiche gilt für die Kreditkartenbenutzung, benutzt wieder Bargeld, das ist nicht zurück zu verfolgen.
                So bekommt man das System in die Knie.
                Schaut mal nach, ob ihr wirklich all Eure Versicherungen überhaupt braucht, die ihr Euch in all den Jahren angeschafft habt.
                Wenn die Menschen nur noch das kaufen würden, was sie wirklich benötigen, wird sich dieses System ganz schnell als ad acta bestätigen.
                Ach, und holt euer Geld von der Bank, falls ihr noch Welches habt…;-)
                Fazit: Die einzige Handlungsalternative sei „eine Kultur der Verweigerung“. Dies bedeute, „jede Mitverantwortung für ‚Marktwirtschaft und Demokratie‘ zu verweigern, nur noch ‚Dienst nach Vorschrift‘ zu machen und den kapitalistischen Betrieb zu sabotieren, wo immer das möglich ist“.

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