Blogger vs. Voyeure und Gaffer

Thilo Baum bezeichnet sich in seinem Blog selbst als „Experte für Klartext“. Wenn er dies wirklich ist, dann kommt er mit diesem Artikel klar, denn ich will mal Klartext reden/schreiben.

Baum schreibt über den Tod von Jörg-Olaf Schäfers, was legitim ist, denn das taten auch viele andere vor ihm. Eines aber unterscheidet Baum von all seinen Vorgängern: Er interessiert sich für die Todesursache.

Neben allen Gefühlen und allem Gedenken fragt sich: Woran ist er denn gestorben? Das schreibt offenbar keiner, und die Kommentatoren fragen es auch nicht.

Alle anderen Berichte las ich als Nachruf für einen Menschen, der in seinem Leben viel kämpfte und einiges erreichte. Nicht nur für sich, sondern vor allem für andere.

Wenn jemand stirbt, dann ist sein Tod die Meldung., verbunden vielleicht mit dem, was dieser Mensch erreicht/getan hat. Die Art des Todes KANN erwähnenswert sein, ist es aber in den absolut seltensten Fällen. Es sei denn, der an einem Artikel Interessierte begibt sich in die Position der Autobahn-Unfall-Gaffer: Der Unfall ist nahezu egal – ich will Blut und Elend sehen. Einer dieser Stauverursacher scheint Thilo Baum zu sein. Anstelle ruhig einem Menschen zu gedenken, wittert er eine Story die um oder vor dem Tod zu suchen ist. Er wird unruhig, weil seine voyeuristischen Neigungen nicht von Anderen befriedigt werden. Und in genau diesem Modus fängt er an zu schwurbeln:

Vielleicht ist das ein wesentlicher Punkt, weshalb Blogs den Journalismus nicht ersetzen können: Viele Schreiber sind so eingesponnen in ihre Welt, dass sie ihr Wissen auch bei anderen voraussetzen. Sie setzen bei ihrem Publikum zu wenig Unwissen voraus, wie es geboten wäre. Und viele sind Feuilletonisten: Sie machen Nebensachen zur Hauptsache, thematisieren abwegiges Zeug und unterschlagen die Hauptfakten.

Er stellt seine eigene Neugier, seinem Hang zum Banalen, als etwas wichtiges dar. Die Todesursache wird für Baum zum Kern des Thema, wie in dem alten Witz über die Springerpresse. „Frau durch Fleischwolf gedreht, Bild sprach zuerst mit der Frikadelle“. Wer so verschroben Haupt- und Nebensachen verdreht, enttarnt sich als Voyeur des Banalen – und nicht als an Informationen interessierter. Denn wer der Tote war und was sein „Lebenwerk“ war, warum man seinen Tod bedauert, das sind doch wohl Dinge, die für einen menschlichen Schreiber zuerst im Mittelpunkt stehen. Nur die Hyänen suchen den Leib nach Spuren ab.

So, DAS war mal Klartext Herr Baum!

14 Gedanken zu „Blogger vs. Voyeure und Gaffer

  1. Bei mir war es auch so, als ich gelesen hatte, dass keiner über den Tod berichtete habe ich angenommen es ist nicht relevant und geht mich nichts an. Allerdings wäre ein Satz wie „ist schon länger krank“ auch kein Schaden gewesen. Mit Blog vs. Journalismus hat das aber nun wirklich nichts zu tun.

    Gruss
    Bernd

  2. Thilo Baum ist in meiner Wahrnehmung ein Dogmatiker seiner Klartextideen für die er dringend Fans und Öffentlichkeit sucht. Ihr Beitrag hat den Charme, dass Sie alle, die heimlich oder öffentlich eine Todesursache suchen, auf relevanten Dinge, wie das scheinbar für die Internetgemeinde wichtige Lebenswerk des Verstorbenen hinweisen.

  3. Auch mir war sehr schnell aufgefallen, dass viele Nachrufe schreiben, und sich (trotz des jungen Alters) niemand auch nur angedeutet zur Todesursache aeussert.

    Ist es fuer Dich nachvollziehbar dass ich – als Mensch der an Depressionen leidet – ganz besonderns aufgrund des Alters auch erstmal Google anschmiss, um diesen minimalen Verdacht zu erhaerten oder entkraeften?

    Die Formulierungen des Herrn Baum lasse ich mal bewusst unkommentiert, aber dieser Generalangriff auf Leute die eventuell anders gelagerte Fragen oder Motivationen haben finde ich schon … schwach.

    Und wenn ich dann sehe, dass einzelne Blogs Updates schreiben, weil es (laut Zugriffs-Statistiken) offenbar doch eine Menge Leute interessiert, und Du nur einen Angriff dann ist auch das … schwach.

    • @Antiquado:

      Nachvollziehbar ja, auch ich stellte mir anfangs die Frage nach der Todesursache, stellte dann aber – für mich – fest: „Was ändert es?“.

      Ich halte dein persönliches Interesse für deutlich legitimer (ja, ich habe Moralinsäure gesoffen ^^), als die Forderung Thilos. Denn Du erklärst, warum Du persönlich ein Interesse an dieser Information hast. Nur bitte ich dich zu bedenken, dass man unterscheiden sollte zwischen „öffentlichem“ und „privatem“ Interesse. Vieles, dass von privatem Interesse ist (z.B. mein Kontostand für meine Frau, die vor dem Juwelierladen steht (hihihihi)), ist nicht ebenfalls von öffentlichem Interesse.

  4. Dieser Thread und die Auseinandersetzung über die Frage nach der Relevanz der Todesursache bzw. nach der presserechtlichen Zulässigkeit ihrer Erwähnung ist zwar schon ein Weilchen her, aber aus gegebenem Anlass möchte ich hier dazu nun etwas anmerken. Der gegebene Anlass ist dieser:

    „Der Spiegel“ Nr. 48, Seite 158: „Ludwig Hirsch beging am 24. November Selbstmord in Wien.“ Wird nun jemand gegen den „Spiegel“ presserechtlich vorgehen?

    Der Text im „Spiegel“ ist konsistent, die nahe liegende Frage nach dem Grund seines Todes ist soweit beantwortet. Selbst in der „Weltwoche“ (48/11, Seite 14) bleibt die Frage nicht offen, wenn es am Ende des Nachrufes heißt, Ludwig Hirsch sei mit dem „großen schwarzen Vogel“ in eine bessere Welt geflogen.

    Zu erwähnen, *wie* Ludwig Hirsch genau gestorben ist, ist dabei nicht nötig, insofern bin ich bei Ihnen. Aber sowohl im „Spiegel“ als auch in der „Weltwoche“ sind die Texte jeweils rund.

    Zum Fall von Robin M.-L. (abgekürzt, weil es nicht um ihn geht, sondern um die Art der Berichterstattung) schrieb die FAZ einen Nachruf, der demgegenüber nicht rund war, weil er die naheliegende Frage offen und damit die Leser im Regen stehen ließ.

    Ich möchte daran erinnern, dass nicht ich es war, der in die Welt hinausposaunt hat, dass Jörg O. S. oder Robin M.-L. tot sind. Sondern das waren zahlreiche Blogger. *Die* sollten sich Ihre Vorwürfe anhören. Wozu schreibt denn jemand in der FAZ (mit höherer Reichweite als mein Blog) über den toten Robin M.-L., wenn er dann die Leute nicht wirklich informieren will?

    Wer die Sache nüchtern betrachtet, ohne Vorurteil oder grundsätzliche Antipathie, weil er sich etwa auf mich eingeschossen hat und wie besessen Fehler sucht, wird sich in allen hier genannten Todesfällen die Frage nach dem Grund stellen. Es ist kein Voyeurismus, sondern es geht einfach um die Frage nach Plausibilität eines Textes.

    • @Thilo Baum:

      Wird nun jemand gegen den “Spiegel” presserechtlich vorgehen?

      (Ein – sicher überzogenes – Beispiel warum diese Argumentation eher schwach ist): Nur weil jemand ein Gewaltverbrechen begeht, welches nicht geahndet wird, sind Gewaltverbrechen damit noch lange nbicht legitimiert. Dieses gilt umsomehr, als wir uns in diesem Falle im Bereich Moral/Ethik bewegen.

      Sollte nicht alle (auch und insbesondere, die nicht aus niederen – monetären – Beweggründen) sich darauf besinnen die Rechte der Anderen zu achten und auch darauf zu achten, was die Folgen des eigenen Handelns sein können?

  5. Na gut, dann ist dieser eine Satz von mir, ob nun jemand presserechtlich gegen den „Spiegel“ vorgehen wird, aus irgendwelchen Gründen eben schwach. OK.

    Wie nennt man eigentlich die Eigenart, aus den Gedanken eines anderen nur die Details herauszupflücken, aus denen man dem anderen in irgendeiner Weise einen Vorwurf machen kann, und dabei die Hauptaspekte zu unterschlagen? Ist das eine Charakterfrage?

    Und was ist daran so schwer, den Unterschied zu begreifen zwischen dem Wunsch nach Plausibilität (ein Text sollte geschlossen sein und keine Fragen mehr offen lassen) und Voyeurismus (den ich ganz sicher nicht befürworte)?

    Natürlich sollten wir die Rechte der anderen achten. Ich für meinen Teil bestreite das auch nicht und halte mich daran.

    Da ich den Eindruck habe, dass es hier nicht um eine differenzierte Sicht geht, klinke ich mich nun wieder aus.

    • @Thilo Baum:

      Weil es nicht darum geht, *dass* jemand verstarb, sondern darum, ob die Information nach dem wie und warum überhaupt relevant ist.

      Nur weil es Menschen gibt, die an der Information ein Interesse haben, bedeutet nicht dass dieses Interesse auch berechtigt ist. Warum ist ein Bericht „unrund“, der nicht jegliche Details zu einem Ereignis enthält? Mit dieser Argumentation könnte man jegliche Privatsphäre direkt bei Geburt abgeben.

  6. Nein, natürlich nicht. Und Sie wissen genau, dass ich das nicht meine.

    Sie verdrehen die Worte Ihres Gegenübers, weil Sie rhetorisch gewinnen möchten, und Sie versuchen sich sogar in Polemik. Merken Sie nicht, dass jeder kluge Mensch durchschaut, dass Sie hier versuchen, mich aufgrund falscher Unterstellungen festzunageln?

    Sie stellen sich hier für alle nachvollziehbar als jemand dar, der nicht differenziert denkt. Durch Ihren Ursprungsbeitrag ebenso wie durch Ihr Verhalten jetzt. (Mir ist das alles übrigens völlig egal, ich nehme nichts persönlich, auch wenn Sie mich eventuell nicht mögen sollten. Das ist Ihr gutes Recht.)

    Ein Journalist weiß sofort, welche Fragen sich aufwerfen. Er weiß auch, wie er einen schlüssigen und runden Text hinbekommt, nämlich indem er einfach alle aufgeworfenen Fragen beantwortet. Es ist wie in der Dramaturgie, wenn Sie Motive aufwerfen und wieder aufnehmen. Diese Konsistenz, Schlüssigkeit, wenn Sie so wollen, macht einen Text rund und plausibel.

    Das wissen Journalisten, und sie wissen auch, welche Fragen sich aufwerfen. Die naheliegenden als erstes. Journalisten zerreden auch ein Thema nicht akademisch und beginnen zu diskutieren, „ob die Information nach dem wie und warum überhaupt relevant ist“, wie Sie schreiben.

    Ich bin auch mal überakademisiert von der Uni gekommen und musste in einer Redaktion lernen, worum es geht. Das bedeutet natürlich nicht, dass für Journalisten andere ethische Maßstäbe gelten, sondern es geht einfach um Handwerk. Zu diesem Handwerk gehört es natürlich, die ethischen Regeln zu beachten, und es gehört auch zu diesem Handwerk, Plausibilität herzustellen. Nicht zum Handwerk gehören theoretische Debatten und Wortklaubereien, und daher sehe ich Sie eher in einer Uni als in einer Redaktion. Fangen Sie mal im wahren Business draußen solche Debatten an, Ihr Chef wird Ihnen die Ohren lang ziehen.

    In Ihrem Text oben wollten Sie es mir vermutlich („Klartext“) halt mal so richtig zeigen, und wenn Ihnen das gut tut, dann bitte. Aber es ist Ihnen nur in den Augen derer gelungen, die in denselben Denkmustern denken wie Sie. Es ist Ihnen nicht gelungen gegenüber journalistischen Profis. Gegenüber denen outen Sie sich als undifferenziert. Ich würde Ihnen keinen Praktikumsplatz geben.

    • @Thilo Baum:

      Sie beschreiben selbst wunderbar den Punkt um den es eigentlich geht:

      Ein Journalist weiß sofort, welche Fragen sich aufwerfen. Er weiß auch, wie er einen schlüssigen und runden Text hinbekommt, nämlich indem er einfach alle aufgeworfenen Fragen beantwortet.

      Wenn ich mir den Pressekodex des deutschen Presserates durchlese, son finde ich diverse Stellen, in denen es der Kodex verbietet alle aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Ein Journalist, der stets alle möglich erscheinenden Fragen zu beantworten versucht, landet am Ende bei der Bild und/oder wird aufgrund seiner stets allumfassenden Berichterstattung auch Kontakt mit dem Presserat machen müssen.

      Denn man muss nicht alles was machbar ist auch tun.

      In Ihrem Text oben wollten Sie es mir vermutlich (“Klartext”) halt mal so richtig zeigen, und wenn Ihnen das gut tut, dann bitte.

      Das einzige, was ich meinen Lesern (auf)zeigen wollte ist, dass es (in meinen Augen, dieses Blog ist stets subjektiv) einen Unterschied zwischen Berichterstattung und Befriedigung der Neugierde gibt. Dies macht den Unterschied zwischen der Meldung „Auf der A1: Stau wegen Unfall“ und „Viele Schwerverletzte, wir zeigen die Bilder und schreiben über Schicksale“.

      Aber es ist Ihnen nur in den Augen derer gelungen, die in denselben Denkmustern denken wie Sie. Es ist Ihnen nicht gelungen gegenüber journalistischen Profis. Gegenüber denen outen Sie sich als undifferenziert. Ich würde Ihnen keinen Praktikumsplatz geben.

      Aber ich finde es interessant, wie der universitär gebildete und in langen Jahren „im Job“ gebildete Journalist die Sachebene verlässt und auf der persönlichen Ebene versucht zu punkten. Dies interpretiere ich nicht weiter, sondern lasse es schlicht im Raum stehen.

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