Ich werde alt und meine Zivilcourage ist fürn Popo

Ich hatte heute beim Hamburger Amtsgericht etwas zu erledigen (als Zeuge). Der Angeklagte machte mich so böse (was ich mir vor dem Richter aber wohlweislich verkniff rauszulassen), dass ich nicht in die direkt vor den Justizgebäuden befindliche U-Bahn steigen konnte. Ich brauchte frische Luft und musste noch ein paar Schritte gehen. Aus ein paar Schritten wurde ein kleiner, angenehmer Spaziergang und ich trottete Richtung S-Bahn Jungfernstieg.

In den grossen Bleichen kommt mir ein Mensch – mein erster Gedanke war Dandy – entgegen, dessen Gesicht erst einordnen musste: Es war tatsächlich Walter Scheuerl, seinerzeit derjenige, der mit der Initiative „Wir wollen lernen“ dafür sorgte, dass in Hamburg weiterhin die Kinder von „Besserverdienenden“in Reservatschulen unterrichtet werden. Ein Mensch der Sprecher einer Bürgerinitiativen für die Erhaltung eines Kastensystems, schon im Schulalter ist.

Dieser Mensch kommt mir also vorhin entgegen und was mache ich? Er geht 50 cm an mir vorbei und was mache ich? Ich hätte ihm einen Fußhaken stellen können – das hätte Stil. Ich hätte ihn mittels Blutgrätsche umsäbeln können …. das wäre bemerkenswert. Oder ich hätte ihm einfach einen auf die Nase hauen können – aber Schläge sind als Mittel der Erziehung von penetranten Kindern auch nicht mehr angemessen.

Ich gehe einfach weiter. Denke noch kurz drüber nach, vertwittere es  – um mir „anzuhören„:

Wenn du das nächste mal im Blog über mangelde Zivilcourage meckerst, bekommst du den Tweet um die Ohren gehauen 😉

Tja, jetzt stehe ich hier und muss damit klarkommen, dass es ein Thema gibt, dass ich nicht mehr anschneiden darf.

Aber wie sagte mein Spieß damals „Es gibt so Fälle, da schlägt man einen Affen und muss nachher für einen Menschen zahlen“. Man soll Menschen nicht verprügeln – tut man nicht.

Berlin/München – Gewalt von allen Seiten, aber warum?

Während wir – die Onlinezunft – uns eher über die prügelnden Polizisten in Berlin echaufieren, beschäftigt ein ganz anderer Fall von Gewalteskalation die historischen Medien noch mehr: Der Angriff von jugendlichen Gewalttätern auf einen Mann, der im Rahmen der Nothilfe eben diese Jugendlichen davon abhalten wollte einen anderen Menschen zu verprügeln.

Ein gestandener Mann, mit Arsch in der Hose, der nicht wie Frau von der Leyen wegschaut, sondern aktiv gegen Unrecht tätig wird, bezahlt seine Zivilcourage mit seinem Leben. Eine erschütterende Bilanz, die uns aber nicht abhalten sollte weiterhin couragiert gegen Unrecht vorzugehen.

Schon brüllen die ewigen Scharfmacher aus der Politik (allen voran die CSU) nach mehr Polizei und mehr Überwachung. Natürlich tun sie das – geradezu wie ein Hund anfängt zu sabbern, wenn er das Essen im Napf sieht. Aber allein vom sabbern wird man nicht satt. Denn Gesetze gibt es genug – sie müssen nur konsequent angewandt werden. Jugendstrafrecht für Heranwachsende ist gerecht – für Heranwachsende die „übern Strang schlagen“. Die Nutzung der Heranwachsendenregel muss ein Sonderfall sein – und nicht die Regel. Der Ruf nach mehr Kameraüberwachung kommt aus der gleichen Ecke. Aber wo liegt der Geschwindigkeitsvorteil zwischen einem telefonischen Notruf (wie in das Opfer in München tätigte) und einer Videoüberwachung? Wenn Polizisten bei einem dedizierten Notruf langsamer reagieren als bei einer Massenüberwachung, dann stimmt etwas grundsätzliches nicht. Und der Ruf nach „mehr Polizei“ kommt aus den gleichen stumpfen Köpfen, die vor geraumer Zeit die Einsparungen des Polizeitetats forderten.

Auch ich war „jugendlich“ und ja ich hatte nicht nur „Mist im Kopf“ sondern ich habe auch „Scheisse“ gebaut (wurde aber nie erwischt hrhrhr). Die Art des „Mist bauens“ hatte aber eine andere Qualität. Es waren keine Gewaltverbrechen, sondern eher „grober Unfug“ bis hin zu Sachbeschädigungen – allerdings kleinsten Ausmasses und letztendlich vom Taschengeld oder Ausbildungsgehalt finanzierbar.

Heutzutage sind die Grenzen aber zu weit gesteckt. Kriminalität und Gewalt sind  salonfähig geworden und genau DAS ist unser gesellschaftliches Problem.

Auch wenn es auf dem ersten Blick nicht so aussieht, aber so sehe ich doch auch mehrere Verbindungen zwischen den Vorfällen in München und Berlin. Auf beiden Seiten wird Gewalt ausgeübt, weil sich die Täter keine Gedanken über etwaige Folgen machen (müssen?). Viel schlimmer: Die Polizei geht mit schlechtem Beispiel voran. Auch die stete Wirtschaftskriminalität im Bereich Steuerhinterzeihung, Betrug und der Dinge mehr ist nicht das, was man als „gutes Beispiel“ für den Nachwuchs bezeichnen kann. Wenn der Herr Zumwinkel vor Gericht das Blaue vom Himmel lügt und für uneidliche Falschaussage vor Gericht nicht belangt wird, wie soll man da einem 16jährigen erklären, dass er die Wahrheit sagen muss? Wie transportiert man dies? Wenn Polizisten – wie in der Vergangenheit oft genug vorgekommen – unangemessene Gewalt anwenden, warum sollte dies der 19jährige nicht auch tun dürfen?

Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir ein gesellschaftliches Problem haben, dass man mit Gesetzen nicht lösen kann. Es geht um die Vorbildfunktion der Gesellschaft – es geht um das Verhalten von Managern, Polizisten und uns allen. Wir können nicht immer alle Probleme auf andere schieben. Wir müssen uns der Tatsache bewusst sein, dass wir keine Symptome, sondern Ursachen bekämpfen müssen.