Demenz – Freiheit und/oder Sicherheit?

Das Thema Demenz ist sehr ernst. Wer nichts mit einem dementen Menschen zu tun hat, kann nicht ansatzweise bewerten, was diese Krankheit bedeutet und welche Auswirkungen diese hat – auf ALLE Beteiligten.

In der Süddeutschen findet sich ein Artikel über eine Pflegeanlage für Demenzkranke in Hameln. Kein Heim, in dem auf Flur 3 die Demenzkranken einkaserniert sind, sondern eine Wohnanlage, ähnlich dem Demenzdorf „De Hogeweyk“ in den Niederlanden, welches mich schon früher schwer beeindruckte.

Es gibt Artikel, die machen mich böse – sehr, sehr böse. Dieser gehört dazu. Aber nicht, weil der Schreiberling Blödsinn schreibt, sondern weil einige der in dem Artikel zitierten Meinungen mich einfach nur auf die Palme bringen. Ich darf – nein ich muss – zitieren:

„Alte, kranke Menschen werden einfach ausgelagert, das wirkt wie eine Art Aussätzigendorf“, sagt Reimer Gronemeyer. Der Soziologie-Professor ist Mitglied im Stiftungsrat der Deutschen Hospiz- und Palliativstiftung, hat mehrere Bücher über das Altern im Allgemeinen und das Altern mit Demenz im Besonderen geschrieben. „Wir sperren die Leute weg, damit sie uns Gesunden nicht vor der Nase herumtanzen“, sagt er über das Konzept Demenzdorf.

Ich frage mich, wie lange und intensiv sich dieser Professor mit dementen Menschen beschäftigt hat. Wie viele Jahre war er für einen dementen Menschen verantwortlich? Hat er sich angewöhnt, seine Wohnungstür stehts im Verschlusszustand zu halten und die Schlüssel zu verstecken, weil z.B. sein/e Frau/Mutter/Vater dazu neigt wegzulaufen und völlig hilflos durch die Großstadt zu irren? Kennt er die Hilflosigkeit der Familie, wenn der nahe Angehörige sich 100 Meter von der Wohnung – in der er seit 40 Jahren wohnt – befindet und nicht mehr nach Hause findet? Wie oft hat er seinen nahen Angehörigen schon gesucht, weil er mal wieder „ausgebüxt“ war? Kennt er die Angst, dass etwas passiert sein könnte?

Demenzkranke werden heute schon weggesperrt, und zwar in Wohnungen und in Pflegeheimen in denen sehr genau kontrolliert wird, wer gerade das dritte Stockwerk verlässt. Schwere Demenz macht, dass die Menschen teilweise vor sich selbst geschützt werden müssen. Und um so mehr Raum man diesen kranken Menschen lässt, um so besser ist es für diese.

Doch Supermärkte, in denen Demente zufällig genau das finden, was sie brauchen und in denen sie im Zweifel auch mit drei Keksen bezahlen können, lösen andernorts Befremden aus.[….]

Michael Schmieder drückt es etwas drastischer aus: „Die Leute werden von vorne bis hinten verarscht.“ Der Leiter des Vorzeige-Pflegeheims Sonnweid in der Schweiz ist einer der größten Kritiker des Demenzdorf-Konzepts. […] Eine unwürdige Lösung, die sich niemand für das eigene Alter wünsche.

Natürlich ist der Vertreter des Pflegeheimes Sonnweid ein Kritiker, wie auch sollte er ein Konzept, welches zu dem eigenen im Wettbewerb steht loben? Und ich muss Herrn Schmieder sagen: Doch, ich würde mir solch Konzept für mich wünschen. Ich würde mir wünschen, dass ich so glücklich gemacht werde, wie nur irgend möglich, dass mir mein Leben kuschelig und einfach gestaltet wird. Aber auch, dass ich so viel Freiheit und Möglichkeiten habe. Und wenn ich der Meinung bin, mit Keksen oder gar mit Glasperlen bezahlen zu können und mir dies zugestanden wird, ist es doch toll. Es ist eine späte Freiheit, das niederreißen des „So wird das in dieser Welt gemacht“. Eine späte – aber nicht zu späte – Freiheit des Individuums. Diese – meist sehr alten – Menschen haben es verdient, dass man nicht mehr mit erhobenem Zeigefinger erklärt, wie unsere Gesellschaft funktioniert.

Ich finde dieses Konzept toll. Ich würde dort gern aufgenommen werden, sollte ich einmal schwer dement sein. Und meine Prinzessin wüsste mich dort sicher in guten Händen – und in Freiheit, trotz oder gerade wegen des Zauns.

3 Gedanken zu „Demenz – Freiheit und/oder Sicherheit?

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